Commonwealth-Saga 2 - Die Boten des Unheils
Straßenrand, die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ordentlich gewachsen waren und sich in mächtige Bäume verwandelt hatten. Ihr starker Duft vermischt mit der frischen Brise vom Meer her verlieh der Straße eine ruhige, gelassene Atmosphäre. Paula musste unwillkürlich an eine Rentnerstadt denken.
Das Denken-Haus war das letzte in der Reihe, bevor sich die Avenue auf eine Parklandschaft öffnete, die oben entlang den Klippen verlief. Es war größer als alle anderen, was für sich genommen bereits etwas Neues war auf einer Welt, wo alle das gleiche Geld verdienten, gleichgültig, welche Arbeit sie verrichteten. Irgendwann einmal hatte jemand einen Anbau an der Seite errichtet mit einer Reihe einfacher, hoher Fenster. Er passte nicht so recht zum restlichen Haus, das eher an ein kleines Chalet erinnerte.
Paula ging über den schmalen Weg zur Vordertür und betätigte die angelaufene Messingglocke. Der Garten unterschied sich ein wenig von den anderen, die eine strenge Anordnung von Rasen, Blumenbeeten mit farbenprächtigen Einjährigen und gelegentlich einer Vogeltränke oder Sonnenuhr vorzogen. In diesem hier standen immergrüne Büsche in einer Reihe von Pastellfarben, und der Rasen war seit über einer Woche nicht gemäht worden.
Paula wollte gerade den Klingelknopf ein zweites Mal betätigen, als eine Männerstimme irgendwo im Haus »Ich komme schon!« rief. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, und ein großer Mann Mitte dreißig mit unordentlichem schulterlangen braunen Haar erschien, das bereits von mehreren grauen Strähnen durchzogen war. Er trug ein zerknittertes türkisblaues T-Shirt und zitronengelbe Shorts dazu. »Du bist früh dran«, sagte er, dann musterte er Paula aus verschlafenen Augen. »Oh. Konnte deine Mutter nicht selbst kommen?«
»Ich habe keine Mutter.« Paula studierte das Gesicht ihres Vorfahren; seine Wangen waren runder und das Haar dunkler, doch die Nase war die gleiche, genau wie die ausdrucksstarken grünen Augen. Auch die leichte Verwirrung angesichts des Alltagslebens draußen schien identisch.
Der Mann rieb sich die Augen, als wäre er soeben aufgewacht, und musterte Paula genauer. »So so, eine Außenweltlerin«, sagte er schließlich. »Und was machen Sie hier?«
»Sind Sie Denken?«
»Leonard Denken, ja. Was gibt’s?«
»Ich bin Paula Myo, und rein technisch gesehen bin ich keine Außenweltlerin.«
Leonard Denken runzelte die Stirn; dann starrte er Paula verblüfft an. Er richtete sich auf, plötzlich hellwach. »Ach du meine Güte, ja, natürlich, das letzte der gestohlenen Babys! Mein Großvater, nein, mein Urgroßvater hat dich aufgenommen. Mein Vater hat immer davon erzählt!«
»Ich brauche einen Rat.«
Leonard ächzte, dann grinste er breit. »Komm herein, bitte, komm herein! Tut mir Leid wegen der Unordnung – mein Verstand ist nicht ganz so aufgeräumt, wie die Leute erwarten. Das Haus spiegelt das wider. Matilda droht immer, dass sie irgendwann aufräumt, aber ich hatte noch keine Chance, ein Verzeichnis zusammenzustellen. Eines Tages werde ich es tun, ganz bestimmt.«
Entlang beider Wände im Flur stapelten sich Bücher, feste gebundene Bände mit Lederrücken. Einige Stapel reichten Paula bis zu den Schultern und sahen aus, als müssten sie jeden Augenblick umkippen. »Ich brauche unbedingt mehr Bücherregale«, sagte Leonard entschuldigend, als er Paulas Blicke bemerkte. »Es gibt mehrere Schreiner in der Straße, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, einen zu fragen. Ich brauche auch Holz.«
Er führte sie in den großen Anbau, der aus einem einzigen Zimmer bestand. »Mein Vater hat das hier als Bibliothek eingerichtet«, sagte er. »Aber ich schätze, ich habe es übertrieben.«
An jedem freien Stück Wand standen Bücherregale, die vom Boden bis zur Decke reichten, und auf dem Boden wuchsen weitere Stapel in die Höhe. Nur an der Rückwand mit den hohen schmalen Fenstern waren die Regale unterbrochen. Die vordere Wand besaß zwei hohe französische Fenster, die nach draußen in den Garten führten und von wo aus man einen herrlichen Ausblick auf die Klippen und das Meer dahinter hatte. Vor einem der Fenster stand ein großer alter Schreibtisch, übersät mit Magazinen, Zeitschriften, Berichten, Akten und weiteren Büchern.
»Bitte nimm Platz«, sagte Leonard und deutete auf einen klapprigen antiken Sessel vor dem Schreibtisch. »Matilda! Matilda, wir haben Besuch! Möchtest du vielleicht Tee? Oder Kaffee? Ich fürchte
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