Con molto sentimento (German Edition)
musste er doch an seine Familie denken, oder etwa nicht? Federico ging es zumindest so. Er könnte jetzt sofort losheulen. Ein anderer Todesfall beschäftigte ihn erneut, obwohl er versuchte es zu verdrängen, und er seufzte. Hoffentlich war es nicht zu laut ausgefallen, denn die Dame neben ihm musterte ihn bereits skeptisch.
Seine Eltern, er musste wieder an seine Eltern denken.
Dann wurde der Sarg nach draußen gebracht. Immerhin regnete es nicht, nichts war beschämender als eine Trauergesellschaft, die unbedingt wieder ins Trockene flüchten wollte, aber die nötige Zeit noch am offenen Grab verweilen musste.
Direkt hinter dem Sarg ging Patrice mit gesenktem Kopf. Selbst von seinem Platz aus konnte Federico erkennen, wie der Kleine immer wieder seine Nase hochzog. Dann kamen ein Mann mittleren Alters, an seinem Arm eine viel zu junge Frau, die völlig aufgelöst war. War das etwa Patrices leiblicher Vater? Und war Patrices Stiefvater eigentlich aufgetaucht? Federico sah sich um, merkwürdig, dass ihm dieser Gedanke erst jetzt kam. Doch er konnte weder Urs noch Luc irgendwo entdecken. Was vermutlich wirklich besser so war.
Alexis hielt sich nun diskret zurück als der Sarg hinabgelassen und die letzten Gebete gemurmelt wurden. Zu gerne hätte Federico ihn auf sich aufmerksam gemacht. Er könnte jetzt Alexis hier neben sich brauchen. Einfach die Hand des Freundes drücken zu können, würde es ihm schon leichter ums Herz machen. Aber so konnte er das elegante Profil seines Partners nur aus der Ferne betrachten.
Man ließ Weihwasser, Blumen und Erde auf den Sarg rieseln und so langsam wurde die Gruppe auf dem Friedhof immer kleiner. Nur noch Patrice und sein Vater blieben am Grab, warteten bis alle gegangen waren.
Federico wandte sich ebenfalls ab. Er konnte den Anblick dieser Grube, die hier so völlig deplatziert wirkte, nicht mehr länger ertragen. Hier die kunstvollen Grabmäler, die Steine aus Granit und Marmor, hübsch angelegt von den Angehörigen. Manchmal auch mit Bildern von Enkelkindern, die ihrer Oma oder Opa einen kleinen Gruß bereiten wollten. Und dann – zack – einfach so, mitten hinein in diese Perfektion dieses zwei Meter tiefe Loch in der Erde. Wie verstörend und aufwühlend. Aber so war der Tod und selbst wenn das Loch wieder mit Erde gefüllt war, selbst wenn die Blumen darauf arrangiert waren und der Grabstein aufgestellt. Dieses Fleckchen würde nie mehr so sein wie zuvor und genau so war es auch mit dem Leben der Angehörigen.
So spazierte Federico eine gewisse Zeit durch die Gräberreihen, musterte die Inschriften, die Jahreszahlen. Wie jung manche Leute gestorben waren. Und hier ein Ehepaar: Der Mann, der fast zwanzig Jahre vor seiner Frau diese Erde verlassen hatte. Zwanzig Jahre hatte sie als Witwe gelebt! Unvorstellbar, wie Federico befand und er musste schlucken. Er hatte sich darüber noch nie ernsthafte Gedanken gemacht, aber wie würde es wohl bei Alexis und ihm sein? Federico musste innehalten und ein paar Mal ruhig durchatmen. Allein der Gedanke, dass er Alexis verlieren könnte, dass dieser geliebte, ihm so teure Mensch vor ihm sterben könnte.
Oder war dieses Los Alexis zugedacht, dass dieser Federico zu Grabe tragen musste? Ihn fröstelte unwillkürlich bei diesen makaberen Gedanken. Allerdings war es wohl eine Wunschvorstellung, dass bei ihnen beiden gleichzeitig das Licht ausgeknipst wurde.
Er musste wohl eine halbe Stunde durch den Friedhof geirrt sein, bevor er wieder den Weg zurück zu Eva Leclerks Grab fand. Unweit davon sah er Alexis und Patrice auf einer Bank sitzen. Patrice hatte den Kopf in die Hände gestützt und starrte auf die Kieselsteinchen unter seinen Füßen. Doch er hatte wohl momentan aufgehört zu weinen, denn seine Schultern bebten nicht mehr. Überhaupt hatte sich der Kleine gut gehalten, das musste Federico anerkennen.
Alexis sah just in diesem Moment auf und natürlich erkannte er Federico sofort, auch wenn dieser eine Sonnenbrille trug. Jetzt streckte Alexis die Hand nach ihm aus und diese einfache Geste brachte nun Federico schier zum Heulen. Ihr Streit, ihre Trennung, es erschien ihm nun alles so trivial und unscheinbar im Angesicht des Todes.
›Herr im Himmel, lass ihn nicht vor mir gehen. Ich kann ihn nicht verlieren‹, betete Federico, was nun wirklich selten vorkam.
Mit einem schweren Seufzen ließ er sich neben Alexis nieder und wollte diese warme, lebendige Hand am liebsten nie
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