Con molto sentimento (German Edition)
über seinen Organspendeausweis oder seinen Nachlass reden, als ob es sich dabei um die Liste für den nächsten Wocheneinkauf handeln würde.
Der Organist an der kleinen, elektronischen Orgel bestimmte das erste Lied an und Federico zuckte zusammen bei dem miesen Klang des Instruments. Er konnte sich Alexis‘ Kommentar dazu vorstellen, hörte ihn schon förmlich seufzen und zu einer Tirade ansetzen. Während die Trauergemeinde kräftig mitsang, dachte Federico an einen ganz bestimmten Sonntag vor nun fast einem Jahr. Sie hatten sich alle bei den Arrowfields in England getroffen, ein runder Geburtstag war angestanden und danach hatten Federico und Alexis noch ein paar Tage auf dem Landgut Urlaub gemacht. Alexis‘ Großmutter Mary war an jenem Tag gestorben. Niemand hätte damit gerechnet. Die rüstige, alte Dame war noch täglich mit ihren Hunden spazieren gegangen. Hatte abends ein Gläschen Wein oder einen Gin getrunken. Nein, niemand hätte damit gerechnet dass sie eines Morgens einfach nicht mehr aufwachen würde.
Es war Alexis gewesen, der an diesem Morgen in ihr Schlafzimmer gegangen war, um sie zum Frühstück zu holen. Man hatte sich nichts dabei gedacht. David, Alexis‘ Vater, hatte noch einen Witz darüber gemacht, dass Mary bestimmt den Wecker falsch gestellt hatte. Federico würde den Anblick wohl nie vergessen. Sie waren nichts ahnend am Tisch gesessen, er hatte Catherine gerade das letzte Brötchen weggeschnappt und sie hatte deswegen einen Flunsch gezogen, was allgemeines Gelächter ausgelöst hatte. Alexis war in der Tür gestanden, als ob er die heitere Stimmung nicht stören wollte. Federico hatte ihn zuerst gesehen. Alexis‘ Augen waren gerötet gewesen, er hatte geweint, aber seine Stimme war fest und ergeben gewesen, als er ihnen verkündet hatte ›Mary, ist heute Nacht gestorben‹.
Federico hatte es gar nicht gut verkraftet und war zwei Tage lang nicht aus seinem Zimmer gegangen. Er hatte zwar nicht weinen können, aber trotz allem war er tieftraurig gewesen. Es war für ihn eine regelrechte Überwindung gewesen danach wieder den Alltag aufzunehmen. Es war der erste Tod eines lieben Menschen nach seinen Eltern gewesen. Der erste Todesfall, den er wirklich bewusst, als Erwachsener miterlebt hatte.
Doch wie sollte es bei ihm anders sein, es war das Klavier gewesen, das ihn aus dem Zimmer gelockt hatte. Alexis hatte sich an der Waldsteinsonate von Beethoven versucht. Einmal wieder. Alexis wusste ziemlich genau, was für eine Wirkung es auf Federico hatte, wenn er genau diese Sonate spielte. Federico fand immer einen Fehler bei Alexis‘ Spielweise. Dieses Mal hatte sie jedoch ihre Wirkung verfehlt. Federico hatte nur müde lächelnd sich im Bett herumgewälzt. Dann hatten Alexis und William angefangen sowohl auf dem Steinway-Flügel der Arrowfields als auch auf dem alten Klavier der Familie zu spielen. Eine Mozartsonate für zwei Pianos, die Sonate in D-Dur, Köchelverzeichnis 448. Federico hatte sie mit William erst vor einer Woche einstudiert. Natürlich beherrschte William noch nicht die gesamte Sonate, ganz zu schweigen von dem angemessenen Tempo. Doch für sein zartes Alter war es schon beachtlich. Dies hatte ihn dann auf die Beine und hinunter in den Salon gebracht. Diese fröhliche, muntere Melodie war zu so einem krassen Kontrast zu seiner Gemütsfassung gewesen, es hatte ihn einfach aufgerüttelt. Die ganzen Erinnerungen, die er mit diesem Musikstück verband: Diese Klaviersonate hatte es sogar auf eine von Federicos jüngsten CDs geschafft. Oder besser gesagt, sie war der Bonustrack für die Download-Version der CD. Er hatte die Sonate mit Alexis gemeinsam eingespielt. Es war ein Heidenspaß gewesen. Ihre Sticheleien und Alexis‘ vollmundige Behauptungen, dass er schon mit Federico mithalten könnte, was dieser ihm dieser dann ziemlich deutlich vor Augen geführt hatte, dass er es nicht konnte. Sie hatten nicht gewusst, dass die Tontechniker die Mikrophone die gesamte Zeit auf Aufnahme gestellt hatten, während Alexis einen auf Macho gemacht und Federico die Diva hatte heraushängen lassen. Aber so war es ein netter Gag für die CD gewesen.
Die Leute um ihn herum standen auf und schleunigst beeilte sich Federico es ihnen gleichzutun. So verloren war er in seine Erinnerungen an diese Zeit gewesen. Er sah wieder zu Alexis. Musste er nicht auch an seine Großmutter denken? Wenn ihn schon der Tod von Patrices Mutter nicht sonderlich berührte, zwangsläufig
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