Conan der Schwertkämpfer
Augen.
»Der hochgelehrte Doktor Khafrates, der am Ecktor wohnt. Er ist ein alter, weiser Freund der Königin.«
»Fürchte dich nicht, Kleines«, sagte Conan. »Wir werden uns mit dem guten Doktor zusammensetzen und sehen, ob er der Königin nicht helfen kann. Doch zuerst schauen wir uns diesen Westturm an.«
Der frühe Abend wand zu Ehren der kommenden Nacht einen Kranz aus rosigen Wolken, und in den Straßen von Ianthe hallten Rufe und Gelächter der Bevölkerung wider. Conan und Garus spazierten durch die Gassen und erreichten unbemerkt den Westturm des Königspalasts. Der Turm bildete eine Eckbastion der Mauer um den Palasthof. Er erhob sich direkt an der Seite einer der Hauptstraßen der Stadt. In seinen unteren vier Stockwerken gab es keinerlei Öffnungen, doch darüber unterbrachen Fenster sein Mauerwerk. Aus einigen schien Licht.
»Welches ist das Gemach der Königin?« flüsterte Conan.
»Laßt mich überlegen«, murmelte das Mädchen. »Es ist das dort! Das dritte Fenster von rechts in der zweiten Reihe von unten.« Sie zeigte nach oben.
»Nicht deuten, Mädchen! Du lenkst die Aufmerksamkeit auf uns.« Conan trat an den Fuß des Turmes und studierte das Mauerwerk.
»Niemand könnte da hochklettern«, meinte Garus.
»Nein? Ihr habt noch nicht gesehen, wessen ein Cimmerier aus den Bergen fähig ist.« Conan betastete den Mörtel zwischen den Quadersteinen. »In einem habt Ihr jedoch recht. Den Fugen zwischen den Steinen fehlt die Tiefe, um Zehen und Fingern Halt zu gewähren. Hätte ich viel Zeit, würde ich für jeden Halt ausreichend Mörtel herauskratzen. Aber ... doch laßt uns nun Doktor Khafrates besuchen.«
Der Arzt war ein wohlbeleibter Mann mit einem gewaltigen grauen Bart, der wie schmelzender Schnee über seine breite Brust wallte. Überlegend beantwortete er Conans Fragen.
»Dem Eid folgend, den ich als Arzt ablegte, behandle ich alle, die heilungsuchend zu mir kommen, ohne mich darum zu kümmern, auf welcher Seite des Gesetzes sie stehen. So lernte ich im Laufe vieler Jahre natürlich auch eine Zahl der führenden Diebe der Stadt kennen. Ich würde keinen Namen verraten, außer wenn es darum geht, meiner Königin zu helfen ...
Ich werde Euch zum Haus des Meisterdiebs Torgrio begleiten, der sich erst vor kurzem zur Ruhe setzte. Zu seiner Zeit übte er seinen ungewöhnlichen Beruf auf tollkühne Weise aus. Er war Einbrecher, der mit großem Geschick selbst die steilsten Wände erklomm. Jetzt lebt er von seinem erbeuteten Vermögen und verkauft manchmal das gestohlene Gut jüngerer Kollegen. Kommt.«
Torgrios Haus, ein kleiner, aber gepflegter Bau, kauerte zwischen der prunkvollen Villa eines Magnaten auf einer und einer Töpferei auf der anderen Seite. Es war ein Haus, das ein schwerarbeitender Handwerker sich in einem Leben voll Entbehrungen zusammengespart haben mochte, und sah dementsprechend ehrsam aus. Torgrio hatte offenbar nicht die Absicht, sein Vermögen zur Schau zu stellen.
Er selbst war von so dünner Statur, daß er Conan an eine Spinne erinnerte. Als Khafrates seine Begleiter vorstellte und für sie bürgte, nickte Torgrio mit zahnstumpfigem Grinsen.
»Wie der gute Doktor habe auch ich meine Prinzipien«, erklärte er. »Aber dieser Fall ist eine Ausnahme. Was erwartet Ihr von mir?«
»Etwas, das es mir ermöglicht, den Westturm zu erklimmen«, antwortete Conan.
»O wirklich?« Torgrio hob eine Braue. »Und was versteht Ihr unter diesem ›Etwas‹?«
»Ihr wißt, was ich brauche«, knurrte Conan. »Es gibt diese Dinge auch in Ianthe. Als ich selbst dieses Geschäft betrieb, hörte ich davon.«
»Nun, ich gebe zu, daß es das gibt, was Ihr offenbar meint.«
»Habt Ihr die Güte, es mir zu zeigen?«
»Vielleicht für eine kleine Entschädigung«, erwiderte Torgrio achselzuckend. Über die Schulter rief er: »Junia, bring mir die Drachenfüße.«
Kurz darauf watschelte eine Frau mittleren Alters mit einem Armvoll stählerner Gerätschaften herein. Torgrio nahm sie ihr ab. Er befingerte sie und erklärte:
»Dieses Paar wird an den Stiefeln befestigt – ich weiß nicht, ob es nicht für Füße Eurer Größe zu klein ist –, während dieses für Eure Hände dient. Erst stellt Ihr die Klammern auf die Größe der Steinreihen ein. Dann drückt Ihr einen Drachenfuß gegen einen Stein und zieht den Griff herunter, damit die Klammern sich in den oberen und unteren Rand des Steines festkrallen. Um den Drachenfuß zu lösen, müßt Ihr den Hebel hochdrücken – so. Doch
Weitere Kostenlose Bücher