Conan-Saga 06 - Conan von Cimmerien
sagte Bêlit.
In diesem Moment breitete das Geschöpf mächtige Schwingen aus und flatterte in den Dschungel.
»Ein geflügelter Affe«, murmelte der alte N'Yaga beunruhigt. »Es wäre klüger gewesen, uns selbst die Kehlen durchzuschneiden, als hierher zu kommen. Geister hausen hier.«
Bêlit lachte über die abergläubischen Ängste. Sie befahl die Galeere zu den zerfallenen Kais zu rudern und dort zu vertäuen. Sie sprang als erste auf den Pier. Conan folgte ihr dichtauf, und etwas zögernd gingen die ebenholzfarbigen Piraten an Land. Ihre weißen Federbüsche wogten im Morgenwind, sie hielten ihre Speere fest in den Händen, und immer wieder warfen sie besorgte Blicke auf den Dschungel rundum.
Drückende Stille, so unberechenbar wie ein schlafende Schlange, hing über der Stadt, aber es schien Bêlit nicht zu stören. In ihrer vibrierenden Lebendigkeit bildete ihre geschmeidige Elfenbeingestalt in den Ruinen einen malerischen Gegensatz zu dem Zerfall und der Trostlosigkeit ringsum. Langsam hob die Sonne sich über den Dschungel und überflutete die Türme mit einem stumpfen Gold, in dem die Mauern dunkle Schatten warfen. Bêlit deutete auf einen schlanken runden Turm, der auf einem verrottenden Fundament zu schwanken schien. Breite, gespaltene und mit Gras überwucherte Steinplatten führten zu ihm empor. Zu beiden Seiten lagen eingestürzte Säulen und unmittelbar vor ihm stand ein massiver Altar. Schnell rannte Bêlit die alten Platten hoch und blieb vor ihm stehen.
»Das war der Tempel der Alten«, sagte sie. »Schau«, wandte sie sich an Conan, der ihr gefolgt war, »man kann die Rinnen für das Blut an seinen Seiten sehen. Selbst der Regen von zehntausend Jahren konnte sie nicht von den dunklen Flecken reinwaschen. Die Zeit hat die Mauern ringsum zerfressen, aber dieser gewaltige Steinblock widerstand ihr und den Elementen.«
»Wer waren diese ›Alten‹?« fragte Conan.
Sie hob die Schultern. »Nicht einmal die Legenden berichten von dieser Stadt. Aber sieh dir die Vertiefungen an den beiden Altarenden an. Sie dienten gewiß als Griffe. Priester verstecken oft ihre Schätze unter dem Altar. He, ich brauche vier Männer, die versuchen sollen, ihn zu heben!«
Sie trat zur Seite, um ihnen Platz zu machen, und schaute zu dem Turm hoch, der sich wie betrunken über sie neigte. Drei der stärksten Schwarzen hatten die Hände in die eingehauenen Öffnungen gesteckt – die merkwürdigerweise so gar nicht recht für Menschenhände zu passen schienen – als Bêlit plötzlich mit einem Aufschrei zur Seite sprang. Die drei Schwarzen hielten erstarrt inne, während Conan, der sich gerade gebückt hatte, um ihnen zu helfen, fluchend herumwirbelte.
»Eine Schlange!« rief Bêlit und wich zurück. »Komm, erschlag sie! Und ihr anderen seht zu, daß ihr den Stein heben könnt!«
Conan eilte zu ihr, während ein anderer der Piraten seinen Platz einnahm. Während er ungeduldig das hohe Gras nach dem Reptil absuchte, bemühten sich die Schwarzen mit schier berstenden Muskeln, gespreizten Beinen und heftig keuchend, den Steinblock zu heben. Aber statt dessen bewegte der Altar sich plötzlich zur Seite. Und gleichzeitig war ein knirschendes Krachen zu hören. Der Turm stürzte ein und begrub die vier Schwarzen unter den schweren Trümmern.
Ihre Kameraden schrien erschrocken und entsetzt auf. Bêlits schlanke Finger gruben sich in Conans Arm. »Ich sah gar keine Schlange«, gestand sie. »Ich wollte dich nur vom Altar wegholen, weil ich befürchtete, daß die Alten sich etwas hatten einfallen lassen, um ihre Schätze zu behüten. Komm, wir wollen die Steine zur Seite räumen!«
Es kostete viel Schweiß, die Trümmer vom Altar fortzuschaffen und die Leichen zu bergen. Darunter fanden die Piraten eine in den Stein gehauene Gruft. Der Altar, der an einer Seite mit seltsamen Steinangeln versehen war, hatte als Verschluß gedient. Die ersten Strahlen der Sonne wurden von Millionen glitzernden Facetten eingefangen. Ein Reichtum, wie selbst die Piraten sich ihn nicht in ihren kühnsten Träumen hätten vorstellen können, lag vor ihnen: Brillanten, Rubine, Blutsteine, Saphire, Türkise, Mondsteine, Opale, Smaragde, Amethyste und unbekannte Edelsteine, die wie die Augen sinnlicher Frauen leuchteten. Die Gruft war bis zum Rand damit gefüllt.
Mit einem Aufschrei sank Bêlit auf die Knie zwischen den blutbefleckten Trümmern am Gruftrand und tauchte die weißen Arme bis zu den Schultern in die glitzernde Pracht. Was sie
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