Conan-Saga 16 - Conan der Befreier
damit wir uns wieder aufs Fell legen können.«
Der Himmel im Osten überzog sich bereits mit dem ersten Grau des Morgens, als der letzte Satyr starb. Das Feuer unter dem Messingtopf war zu schwelender Glut herabgebrannt. Hsiao löste den dampfenden Topf auf seines Gebieters Befehl hin von der Kette und leerte seinen sprudelnden Inhalt in den blutgefüllten Kessel. Die Soldaten, die ihm am nächsten waren, sahen gespenstische Gestalten aus diesem Kessel aufsteigen – oder glaubten zumindest, sie zu erblicken –, andere sahen lediglich wirbelnden Dampf. Aber in dem trügerischen Licht des frühen Morgens konnte keiner ganz sicher sein, was die Augen wirklich wahrnahmen.
Jene am Rand der Schlucht hörten aus weiter Ferne Marschschritte und das Klingeln von Geschirr und Waffen, die gegen Rüstungen rieben.
Thulandra Thuu hob schrill vor Anspannung die Stimme: »Mein Lord! Prinz Numitor! Befehlt Eure Männer zurück!«
Der Prinz, der im Stehen halb eingenickt war, fuhr erschrocken hoch und gab den Befehl, ins Lager zurückzukehren.
Die Geräusche einer sich nähernden Armee schwollen an. Der Zauberer hob die Arme und rezitierte Beschwörungen. Hsiao reichte ihm eine Kelle, mit der er etwas der Flüssigkeit aus dem Kessel schöpfte und sie in einen tiefen Spalt im Felsen goß. Dann trat Thulandra Thuu zurück, hob heischend die Arme zum blitzzerrissenen Himmel und rief etwas in einer fremden Sprache. Danach schöpfte er weitere Kellen voll aus dem Kessel.
Auf der Straße von Culario, ehe dieses sandige Band unter einem Laubdach verschwand, konnte der Zauberer zwei Berittene sehen. Sie trotteten auf die Riesenkerbe zu und während sie es taten, studierten sie die Felswand und die Wälder unterhalb. Dann kam eine Schwadron Kavallerie in Sicht, der lange Reihen von Fußsoldaten, mit ihren Waffen auf den Schultern, folgten.
Thulandra Thuu schöpfte hastig weitere Flüssigkeit aus dem Kessel und hob erneut die knochigen Arme zum Himmel.
Conan, der vor der ersten Reihe Kavallerie ritt, richtete sich in den Steigbügeln auf und schaute sich um. Seine Kundschafter hatten keine Königstreuen im Buschwerk entlang der Straße durch den Wald entdeckt, auch keine in der Riesenkerbe erspäht, noch oben auf den hohen Felsen. Die scharfen Adleraugen des Cimmeriers studierten den oberen Schluchtrand, der jetzt von den ersten Sonnenstrahlen rosig getönt wurde. Die Befürchtung, daß sich irgendwo eine Falle befinden mußte, wuchs schon fast zur Gewißheit in ihm. Prinz Numitor war kein strategisches Genie, dessen war er sich gewiß, aber selbst jemand wie er würde doch Vorbereitungen treffen, die Klamm zu verteidigen.
Aber er bemerkte nirgends Anzeichen von Königstreuen. Würde Numitor den Rebellen tatsächlich gestatten, die Imirianische Höhe ungehindert zu erreichen, um der Gleichheit der Kräfte willen? Conan wußte, daß die Edlen dieses Landes sich an die Regeln der Ritterlichkeit hielten, aber in all den Jahren seiner Kriegserfahrung hatte noch kein General seine sichere Siegeschance nur um eines solch abstrakten Prinzips willen aufs Spiel gesetzt. Nein, der Feind hatte die Oberhand. Irgendwo harrte ihrer eine Falle. Der Cimmerier kannte die Scheinheiligkeit der Menschen der Zivilisation nur zu gut, und so war seine Skepsis verständlich, was ihre Ideale betraf, die sie so lautstark priesen. Die Barbaren, unter denen er aufgewachsen war, waren bestimmt nicht weniger falsch, aber zumindest versuchten sie gar nicht erst, ihre Greueltaten mit hehren Worten zu beschönigen.
Ein Kundschafter meldete eine seltsame Entdeckung. Am Fuß der Felswand, links von der Riesenkerbe, war er auf einen ganzen Haufen Satyrleichen gestoßen, denen sämtlich die Kehle aufgeschlitzt worden waren. Die kleinen Körper, alle zerschmettert und verstreut, mußten von oben heruntergeworfen worden sein.
»Die Zauberopfer!« murmelte Trocero. »Ich möchte wetten, daß sich des Königs Hexer Numitor angeschlossen hat.«
Als die beiden vorausreitenden Männer sich der Kerbe näherten, trieben sie ihre Pferde an und verschwanden die Straße hoch, die parallel mit dem angeschwollenen Bitaxa verlief. Bald darauf zeigten sie sich auf einem breiten Felssims und gaben das Zeichen, daß nichts Auffälliges zu bemerken war. Wieder studierte Conan den oberen Schluchtrand. Ihm war als hätte er flüchtig eine Bewegung gesehen – nichts weiter als einen schwarzen Punkt. Aber das mochte ein Streich gewesen sein, den das Licht oder seine ermüdeten Augen
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