Conan-Saga 46 - Conan der Beschützer
näher. Livia spürte, wie ihre Hände feucht wurden. Sie leckte sich die Schweißperlen von der Oberlippe. Jetzt wußte sie, daß mit Sicherheit etwas nicht stimmte. Magie war im Spiel.
Quietschend blieb der Spiegel stehen. Livia hätte schwören können, daß er sich leicht vor ihr verbeugt hatte. Dann wirbelten Schemen über die silberne Oberfläche. Sie waren karmesinrot, kobaltblau und golden. Die Wirbel hatten keine festen Formen, schienen aber intensiv an Livias Gedanken zu zerren und sie einzuladen, in ihnen das zu sehen, was sie sich im tiefsten Herzen wünschte.
Wie Nebelfetzen griffen die Schemen aus dem Spiegel nach Livia. Die Vorhänge am Bett blähten sich, als wehte eine starke Brise. Dabei regte sich kein Windhauch im Schlafgemach. Kalter Schweiß perlte auf Livias Haut.
Magie. Kein Zweifel. Und sie rührte nicht von einem Freund Livias oder ihrem Haus her. Sie hätte nicht sagen können, woher sie das wußte, aber sie war sich ihrer Sache ganz sicher.
Wie konnte sie dagegen ankämpfen? Livia erinnerte sich daran, was ihre Stiefmutter eines Abends nach einer Fehlgeburt in ihren Becher gemurmelt hatte.
»Magie arbeitet sehr viel mit der Vorstellungskraft. Wenn man sich fest einredet, daß keine Magie vorhanden ist, stehen die Chancen gut, daß sie nicht wirkt – oder zumindest, daß ihre Wirkung sehr abgeschwächt wird.«
Livias Stiefmutter hatte wenig getan, um ihr Leben oder das ihres Vaters glücklicher zu machen, aber die Frau hatte Verwandte tief in den Bergen, dicht bei der Grenze zu Aquilonien. Dort oben pflegten die Dorfbewohner noch eigene Sitten und Gebräuche, die viel älter waren als die Reiche, die behaupteten, über sie zu herrschen. Sie kümmerten sich wenig um Könige oder Archonten, jedoch viel um das uralte Wissen ihrer weisen Frauen.
Livia wollte herausfinden, ob in den dunklen Worten ihrer Stiefmutter Weisheit lag.
Sie schloß die Augen und redete sich ein, daß sie im Bett läge und sich in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen sei und daß sich im Schlafgemach nichts, aber auch gar nichts ereignete. Nichts ereignete sich. Nichts würde sich ereignen.
Nichts war geschehen. Nichts geschah. Nichts würde geschehen ...
Eine Kraft, die weder in ihr noch außerhalb von ihr war, sondern irgendwo in beidem steckte, zwang sie gnadenlos, die Augen zu öffnen. Die bunten Schemen tanzten jetzt noch näher und wilder vor ihr. Sie schienen Bilder in Livias Kopf zu malen, nicht vor ihren Augen. Bilder ihres Gesichts. Die Augen waren leer, der Mund vor Müdigkeit erschlafft.
Eine unheilbare Krankheit? Oder vielleicht der Tod? Nein. Sie spürte in ihren Brüsten ein Kribbeln und im Bauch Wärme. Obwohl sie noch Jungfrau war, wußte sie, was das bedeutete.
Die schemenhaften Bilder waren sie selbst, brodelnd vor Begierde und Lust wie ein Tier. Der Zauberer ließ sie diese Lust jetzt intensiv spüren. Er hoffte, mit dieser Begierde ihren Verstand zu verwirren und sie für die nächste Attacke zu schwächen ...
Livia konnte die Augen nicht mehr schließen, aber sie kämpfte gegen das Bild in ihrem Kopf. Sie wehrte sich gegen die Lust. Sie beschwor das Bild herauf, in dem ihr Schlafgemach bis auf eine zur Decke wirbelnde Staubsäule leer war, in dem das schmutzige Wasser des Khorotas alles überschwemmte – allerdings hätte es einer Flut bedurft, wie jene, die einst Atlantis unter sich begraben hatte, um den Damaos-Palast auf dem Berg zu füllen.
Die wilde Lust verließ sie nicht, verschlang sie jedoch auch nicht. Livia mußte hart kämpfen, aber sie hatte die Kraft dazu. Jetzt war sie imstande, die Glieder zu bewegen. Schnell stieg sie aus dem Bett und machte zwei Schritte auf dem dicken vendhyschen Teppich. Die Wolle hüllte ihre Zehen in angenehme Wärme.
Livia hätte nicht sagen können, wie lange der Kampf dauerte. Als die Schemen sie plötzlich verließen, sah sie, daß das Morgengrauen sich in rosiges Sonnenlicht verwandelt hatte. Die Schattenbilder hatten sich aufgelöst wie Nebelfetzen, denen sie so geglichen hatten. Livia taumelte und wäre auf den Teppich gefallen, hätte sie sich nicht am Bettpfosten festgehalten.
Dann wirbelte sie wieder herum. Ein alptraumhafter Lärm. Grauenvolle Schreie erklangen aus der Tiefe des Palasts. Livia stieß sich vom Bettpfosten ab. Sie hatte drei unsichere Schritte in Richtung der Tür gemacht, als diese aufflog. Ihre beiden Zofen stürzten herein und warfen sich auf den Boden. Die Röcke hatten sie bis zu den Knien
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