Cook, Robin
zu werden«, entgegnete Joanna betrübt. »Es ist wie eine Vergewaltigung. Vielleicht sogar noch schlimmer.«
»Da stimme ich dir voll und ganz zu.«
»Aber warum gerade ich? Und du nicht?«
»Gute Frage«, entgegnete Deborah. »Wahrscheinlich weil ich mich gegen eine Vollnarkose gesträubt habe. Um einen Eierstock zu entfernen, reicht eine per Ultraschall kontrollierte Punktionsnadel mit Sicherheit nicht aus. Dazu bedarf es mindestens eines Laparoskops.«
Joanna schloss für einen Moment die Augen. Wäre sie doch bloß nicht so feige gewesen und hätte bei der Eizellspende wie Deborah auf einer lokalen Betäubung bestanden.
»Mir ist gerade etwas eingefallen«, riss Deborah sie aus ihren Gedanken.
Joanna schwieg. Sie schwor sich, diesmal hart zu bleiben und auf keinen Fall nachzuhaken.
Es verstrichen beinahe zwei Minuten, in denen sie schweigend weiterfuhren. »Willst du denn gar nicht wissen, woran ich gerade gedacht habe?«, fragte Deborah schließlich.
»Nur wenn du es mir von dir aus erzählst.«
»Wenn wir beweisen können, dass sie dir einen Eierstock entfernt haben, haben wir vielleicht etwas in der Hand. Ich behaupte nicht, dass sie ihn wirklich weggenommen haben, aber wenn doch, können wir die Klinik juristisch belangen. Immerhin hätten sie ihn ohne deine Zustimmung herausoperiert, und das ist ja wohl eindeutig Körperverletzung und somit eine Straftat.«
»Aber wie sollten wir das beweisen?«, fragte Joanna wenig begeistert. »Soll ich mich vielleicht aufschneiden lassen, damit mal jemand nachsieht? Nein danke.«
»Ich glaube nicht, dass du dafür gleich unters Messer musst«, entgegnete Deborah. »Wahrscheinlich kann man es auch per Ultraschall feststellen. Ich schlage vor, du rufst Carlton an, erzählst ihm so viel oder so wenig, wie du willst, und erklärst ihm, dass du herausfinden musst, ob dir ein Eierstock fehlt.«
»Ausgerechnet du schlägst mir vor, Carlton anzurufen«, staunte Joanna.
»Du sollst ihm ja um Gottes willen keinen Heiratsantrag machen«, entgegnete Deborah. »Aber warum solltest du es dir nicht zunutze machen, dass er Arzt ist? Ärzte kennen sich untereinander, es ist wie eine Art Bruderschaft. Deshalb kann er dir bestimmt zu einer Ultraschalluntersuchung verhelfen.«
»Jetzt bin ich schon seit drei Tagen zurück aus Italien und habe ihn noch kein einziges Mal angerufen«, wandte Joanna ein. »Ich käme mir ziemlich schäbig vor, ihn nach so langer Zeit plötzlich anzurufen und ihn als Erstes um einen Gefallen zu bitten.«
»Ich bitte dich!«, stöhnte Deborah. »Da kommt mal wieder deine spießige Südstaatenerziehung durch. Wie oft muss ich dich noch daran erinnern, dass du die Männer genauso benutzen kannst, wie sie uns benutzen. Und du bist schließlich nicht auf ein kleines Abenteuer aus, sondern bloß auf eine schnöde Ultraschalluntersuchung. Stell dich bloß nicht so an!«
Joanna ging in Gedanken durch, wie das Telefonat mit Carlton wohl ausfallen würde. So einfach, wie Deborah sich das vorstellte, war es bestimmt nicht. Doch andererseits wollte sie unbedingt wissen, ob man ihr wirklich den Eierstock geraubt hatte. Je mehr sie darüber nachdachte, desto dringender wollte sie die Wahrheit wissen.
»Also gut«, willigte sie schließlich ein und griff nach ihrem Handy. »Ich rufe ihn an.«
»Braves Mädchen«, lobte Deborah sie.
K APITEL 15
10. Mai 2001, 18.30 Uhr
Der Louisburg Square lag etwas weiter oben in Beacon Hill. Man erreichte ihn, indem man die Mount Vernon Street hinauffuhr und dann links in eine der beiden Straßen abbog, die den Platz begrenzten. Streng genommen war es gar kein richtiger Platz, sondern eher ein lang gezogenes Rechteck, das an den Seiten von Stadthäusern aus Backstein gesäumt wurde. Die meisten der Häuser verfügten über runde Erker und hatten Sprossenfenster mit Fensterläden. Das Zentrum des Platzes bildete ein etwas vernachlässigtes Fleckchen zertrampelter Rasen, das von einem hohen, geradezu bedrohlichen gusseisernen Zaun geschützt wurde und über dem sich ein paar uralte riesige Ulmen erhoben, die die verheerenden Auswirkungen der Ulmenseuche irgendwie überstanden hatten. An den Seiten wurde das Rasenfleckchen von niedrigem, nicht besonders gepflegtem Buschwerk begrenzt. Zudem stand an jeder Seite eine einzelne verwitterte Gartenstatue.
Obwohl er sich in Boston nicht besonders gut auskannte und das undurchschaubare Labyrinth von Einbahnstraßen einem Ortsfremden die Orientierung in Beacon Hill
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