Cook, Robin
sie wusste, dass auf kriminelle Weise beschaffte Beweise ihre Verwendbarkeit einschränkten. Außerdem war sie sich nicht einmal sicher, ob es im Bundesstaat Massachusetts überhaupt gegen das Gesetz verstieß, wenn eine Privatklinik Menschen klonte.
»Okay«, sagte Joanna plötzlich. »Sehen wir uns also auch noch das zweite Kind an. Aber wenn wir die gleiche Situation antreffen, sollten wir auf keinen Fall reingehen.« Sie nahm das zweite Blatt zur Hand und griff nach ihrem Handy.
Der Nachname des zweiten Kindes lautete Webster. Die Familie lebte einige Kilometer von Bookford entfernt auf dem Weg nach Boston. Joanna wählte die Nummer. Sie ließ das Telefon fünfmal klingeln. Als sie die Verbindung gerade beenden wollte, nahm eine Frau den Hörer ab. Sie war außer Atem.
Bis auf Mrs Websters Kurzatmigkeit verlief das Gespräch beinahe genauso wie das mit Mrs Sard. Sie erzählte, dass sie ihren kleinen Stuart gerade gebadet habe und deshalb nicht sofort ans Telefon habe gehen können. Wichtiger jedoch sie lud Joanna und Deborah ein vorbeizukommen und erklärte Joanna ausführlich den Weg.
»Dieses Baby ist also zumindest sauber«, stellte Joanna fest, während sie ihr Handy wegsteckte.
Eine halbe Stunde später hielten sie vor einem Haus, das im krassen Gegensatz zu dem der Sards stand. Das Haus der Websters war vergleichsweise ein regelrechtes Herrenhaus es war im Kolonialstil erbaut und verfügte über etliche massive Schornsteine, die planlos emporragten wie Unkraut in einem Garten. Blühende Magnolien und Hornsträucher zierten den Rasen.
»Was die Auswahl der Eltern für seine geklonten Babys angeht, scheint Dr. Saunders ja ziemlich willkürlich vorgegangen zu sein«, stellte Deborah fest. »Das heißt, falls wir es auch hier mit einem Klon zu tun haben.«
»Komm!«, drängte Joanna. »Bringen wir es hinter uns!«
Sie gingen mit gemischten Gefühlen über den gepflasterten Gehweg. Eigentlich waren sie beide nicht erpicht darauf, auch diesem Kind einen Besuch abzustatten, doch es musste sein. Joanna drückte auf die Klingel.
In dem Augenblick, in dem sie das Baby sahen, wussten sie, dass es sich ebenfalls um einen Klon von Paul Saunders handelte. Es sah genauso aus wie das Baby der Sards: Es hatte die gleiche weiße Stirnlocke, die gleichen verschieden gefärbten Augen und die gleiche breite Nase.
Mrs Webster war genauso freundlich wie Mrs Sard, allerdings schien sie sich nicht so extrem nach Gesellschaft zu sehnen. Sie lud Joanna und Deborah ein hereinzukommen, doch die beiden lehnten ab und baten darum, sich kurz an der Haustür zu unterhalten.
Joanna hatte sich inzwischen einigermaßen von ihrem anfänglichen Schock erholt, so dass sie sich diesmal, anders als bei Mrs Sard, an der kurzen Unterhaltung beteiligen konnte. Außerdem empfand sie es erträglicher, einem sauberen Kind gegenüberzustehen, das in einer für sein Wohlbefinden günstigen Umgebung aufwuchs. Aus reiner Neugier erkundigte sie sich, ob das Baby vielleicht schwerhörig sei. Mrs Webster bejahte dies und beschrieb die gleichen Hörprobleme, die auch bei dem Sard-Baby festgestellt worden waren.
Schließlich verabschiedeten sie sich und brachen schweigend auf, jede in ihre eigenen trüben Gedanken versunken. Erst als sie die Route 2 erreichten und schneller fahren konnten, fand Deborah ihre Stimme wieder. »Nicht dass ich ewig darauf herumhacken möchte – aber jetzt verstehst du vielleicht, warum ich so enttäuscht war, dass du uns keinen Zugang zu den Forschungsprotokollen der Klinik verschafft hast. Meine Intuition sagt mir, dass sie dort irgendetwas wirklich Schlimmes treiben und dass das Klonen, auf das wir gestoßen sind, nur die Spitze des Eisbergs ist. So arrogant wie dieser Dr. Saunders ist, ist seine Grenze der Himmel.«
»Menschen zu klonen, ist ja wohl schlimm genug.«
»Wahrscheinlich nicht schlimm genug, um Dr. Saunders und seinem Gefolge ein für alle Male das Handwerk zu legen«, entgegnete Deborah. »Wenn die Medien erst einmal verbreiten, dass man in der Wingate Clinic geklonte Babys bestellen kann, rennen wahrscheinlich ganze Scharen unfruchtbarer Paare der Klinik die Bude ein.«
»Ich kann es leider nicht ändern«, murmelte Joanna. »Ich habe im Server-Raum mein Bestes getan.«
»Ich will dir keine Vorwürfe machen.«
»Das tust du aber!«
»Okay, vielleicht ein bisschen. Es ist eben so frustrierend.«
Sie verfielen erneut in Schweigen und lauschten dem dröhnenden Motor. In der Ferne erschien am Horizont
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