Cool
heute kontrollieren sie das Kanalsystem. Großer Gott, wieviel Arbeit und wieviel Geld hat er schon in dieses Projekt gesteckt.
Das Tunnelgraben vom Kanal bis zur Tresorwand hat bereits die Monate Mai und Juni in Anspruch genommen. Jeden zweiten Tag ist der metallgraue Peugeot 504 in die Tiefgarage an der Place Masséna gefahren und hat so vor der Fernsehkamera gestanden, daß man den Eingang zum Siphonraum nicht überblicken konnte. Dann fährt ein Citroen-2CV-Lieferwagen hinter den Peugeot, so daß ihn die Kamera ebenfalls nicht erfaßt.
Der Maurer und seine Assistenten klettern aus dem Fahrzeug, nehmen ihr Werkzeug und gehen durch den Siphonraum in das unterirdische Kanalsystem. Von dort aus waten sie durch die Gänge bis zum Tunnel. Zwei Männer arbeiten am Anfang des Schachtes und schlagen die Erde mit Pickeln los, ein anderer schaufelt die Erde in Säcke und bringt sie zum toten Ende eines Kanals, das ihnen als Schuttabladeplatz dient.
Der Durchmesser des Tunnels beträgt am Eingang nur sechzig Zentimeter. Spaggiari hat darauf bestanden, daß der Tunnel genauso aussieht, als sei er von der Stadt selber oder der Telefongesellschaft gebaut worden: Der Eingang und die Wände sind mit der gleichen Farbe gestrichen, wie sie auch die Stadtverwaltung verwendet. Der Hintergedanke dabei ist, daß bei einem zufälligen Rundgang von Kanalarbeitern keinerlei Zweifel aufkommen, daß es sich hier um eine offizielle Arbeit handelt. Während des Wochenendbesuchs von Präsident Giscard d’Estaing wird der Eingang von den Kanalratten zugemauert und mit der städtischen Deckfarbe säuberlich übermalt. Als der Tunnelbau fortschreitet, stützt der Mauren die Decke ab und zementiert die Wände aus. Er ist ein Profi; der Sohn eines Bauunternehmers, dem es jedoch immer mehr Spaß gemacht hat, seine Lorbeeren in der Kriminalität als in der Architektur zu verdienen. Er überwacht die Arbeit auf das genaueste. Spaggiari erscheint von Zeit zu Zeit und kontrolliert den Fortgang des Werkes. Er bringt immer einige Flaschen Wein mit, für die ausgedörrten und staubverschmutzten Kehlen der Arbeiter. Einmal bittet er die Männer, die Elektrobohrer voll einzuschalten, während er sich oberhalb, auf der Straße, befindet. Doch es ist absolut nichts zu hören.
Das Ausschachten ist für die Männer an der Spitze des Tunnels eine Qual. Eines nachts wird einer von ihnen ohnmächtig. Panik bricht aus: Der jüngste des Teams, ein gewisser G., dreht völlig durch und muß sich übergeben. Er wird in den Siphonraum getragen und dann nach Hause gefahren.
Daraufhin befiehlt Spaggiari eine strikte Arbeitsteilung. Jede Gruppe darf nur alle drei Tage graben. Bevor sie hinuntersteigen, müssen sie frei von Alkohol und Koffein sein und mindestens zehn Stunden geschlafen haben. Er gibt ihnen Beruhigungstabletten und hält herzstärkende Mittel bereit. Jeder arbeitet zehn Minuten und muß dann wieder zehn Minuten ausruhen. Dann besorgt er den Apparat für die Frischluftzufuhr. Während dieser Zeit entwickelt er ein perfektes Wachpostensystem.
Wachposten Nummer 1 sitzt am Eingang zur Tiefgarage in einem Renault 5. Im Gefahrenfall würde er zum Siphonraum laufen und Marcel verständigen. Marcel würde dann entlang der unterirdischen Straße laufen, zu dem Tunnelkanal, und mit einer Trillerpfeife Alarm geben.
Wachposten Nummer 2 lauert am Flußeingang der unterirdischen Straße, mehr als zwei Kilometer entfernt, auf einem Motorrad. Er hat die Anweisung, im Alarmfall bis zum Tunnelkanal vorzufahren und ebenfalls eine Trillerpfeife zu bedienen.
So haben die Männer im Tunnel in jedem Fall die Möglichkeit, in die entgegengesetzte Richtung zu entfliehen, aus der die Gefahr kommt.
Für doppelte Sicherheit sorgt außerdem eine Funkverbindung zwischen dem Renault 5 und dem Motorrad. Spaggiari hätte auch gern einen Funkkontakt mit den Männern im Tunnel, aber der Stahlbeton macht dies unmöglich.
Sie haben die Alarmsignale mit den Trillerpfeifen getestet und entdeckt, daß sie die Männer im Tunnel aus einer Entfernung von zweihundert Metern hören können. Selbst, wenn alle Bohrmaschinen unter Volldampf stehen.
Sie haben auch gestoppt, wie lange der Motorradfahrer vom Eingang der unterirdischen Straße bis zum Kanal braucht: Nicht länger als eine Minute und fünfzehn Sekunden.
Eines Nachts, es ist die erste Juliwoche, erreichen die Kanalratten die Tresorwand der Bank. Sie legen eine Stelle mit dem Durchmesser von einem Meter frei und lassen die Werkzeuge
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