Cool
unter einem Bogen ein, und man kann das leichte Plätschern des Paillonwassers hören. Eine kleine Armee von verschreckten Ratten erstarrt im Licht der Scheinwerfer und verschwindet hinter einem Stapel halbvermoderten Holzes. Die Luft ist stickig. Ein wenig weiter ergreift das Licht eine Gruppe von Männern, die auf Spaggiari warten. Der Landrover wird langsamer und hält neben ihnen.
Die zweite Gruppe der Kanalratten ist von der Place Masséna gekommen, durch die Tiefgarage und den Siphonraum. Sie tragen Gummistiefel, Handschuhe und haben zwei Schlauchboote und mehrere aufblasbare Lastwagenschläuche dabei. Sie warten auf der unterirdischen Straße und sind bereit, die Ladung durch das Kanalsystem zu schleusen.
Nicht weit von ihnen entfernt sitzt ein Arzt in einem Hotelzimmer und streckt sich gemütlich in einem Schaukelstuhl aus. Er steht ihnen für die nächsten sechzig Stunden voll und ganz zur Verfügung. Er ist kein approbierter Arzt mehr, seit er wegen mehrfacher Abtreibung verurteilt worden ist.
Nun ist er froh, wenn er ab und zu einen Job im »Milieu« findet. Er hilft, wann immer einer seiner Patienten ohne Wissen der Polizei behandelt werden muß. Sei es bei Schußoder Stichwunden. Das ist zwar keine Vollbeschäftigung für ihn, aber wie eine Art Rente.
Spaggiari hat ihm zwar nicht erzählt, was an diesem Wochenende geschieht, das ist aber nicht schwer herauszufinden. Die medizinischen Probleme, die ihm angedeutet werden, geben genügend Aufschlüsse: Erstickungserscheinungen, Platzangst, Abschürfungen und Ohnmachtsanfälle. Also wird irgendwo ein Tunnel gegraben. Der Arzt will keine Details wissen. Am Montagmorgen wird er sein Geld kriegen, heimgehen und einen Anfall von totalem Gedächtnisschwund bekommen. Jeder muß irgendwie überleben.
Heutzutage wird Abtreibung auf der halben Welt legalisiert, und er ist von der Ärztekammer für immer davon ausgeschlossen, seinen Beruf ausüben zu dürfen. Welche Ironie des Schicksals.
In der Avenue Verdun, nahe, aber nicht zu nahe der Bank, parkt ein Renault 4, der genauso aussieht wie der Wagen der städtischen Elektrizitätswerke. Im Innern lagern fünf Gasflaschen und ein hydraulischer Hebebaum. Ein ebenso schweres wie wichtiges Bestandteil der Gesamtausrüstung. Alles andere kann Spaggiari auf den Schlauchbooten und LKW-Schläuchen transportieren, doch der Lastenheber würde unweigerlich im Guilischlamm versinken. Er muß also durch die Kanalöffnung neben der Bank hinuntergelassen werden. Das ist der gefährlichste Teil der gesamten Operation. Die Männer im Renault rauchen nervös und warten auf ihren Einsatzbefehl.
Auf der unterirdischen Straße öffnen die Männer die hintere Ladeklappe des Landrovers. Die Atmosphäre ist gespannt, niemand spricht. Befreiend und ermunternd gibt Spaggiari jedem die Hand, lächelt, macht Witzchen und Mut. Das wirkt.
Sie laden ab und beginnen den Transport des Materials. Der >Maurer< hat auch einige Luftmatratzen mitgebracht. Die Schlauchboote, die Luftmatratzen und die Reifenschläuche werden zu einem langen Lastkahn zusammengebunden. Als die Ladung komplett ist, setzt sich der Zug durch die Kanäle langsam in Bewegung. Der >Maurer< geht voran.
Sie waten vorwärts, in Richtung Rue Chauvain, wenden sich dann nach links, unterhalb der Rue Gioffredo und dann nach rechts, unter der Rue St.-Michel entlang. Dann sind es nur noch zweihundert Meter bis zur Bank. Der Chinese flucht laut: Seine Gummistiefel stecken im dicken Schlamm des Kanalbodens.
Der Konvoi stoppt am Eingang des Tunnels, den sie in wochenlanger Arbeit gegraben haben. Der >Maurer< schlüpft hinein und entrollt den Sisalteppich, um den Transport in dem acht Meter langen Tunnel zu erleichtern. Die anderen laden ab.
Es riecht nach Kloake und Azeton. Henri der Schweißer lehnt zwei Gasflaschen gegen die Wand, schließt den Schweißbrenner an und klappt das blaue Schutzschild seiner Brille herunter. Er gibt dem Korsen eine letzte Lehrstunde.
Er öffnet das Gasventil und greift nach seinem Feuerzeug. Die lange, orangene Flamme wirft einen riesigen Schatten auf die Tunnelwand. »Wenn du die Flamme kleiner drehst, wird sie heißer.« Er demonstriert den Vorgang, und die Flamme wird blau und zischt.
Er holt Lötmasse aus seinem Seesack und richtet die Flamme drauf. »Halte die Flamme immer nach unten, in ganz kurzen Abständen. Sonst hält das Metall nicht und tropft runter.«
Vom Kanal her ertönt ein Schrei: »Au, Scheiße!« Es ist der Chinese.
Jemand
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