Coole Geschichten für clevere Leser
Beamten zu der einsamen Stelle, wo er seine Schande und seine Schuld hatte verstecken wollen.
Ein einziger Trost blieb ihm: als sie von seiner Verhaftung erfuhr, besuchte ihn Alma. Bei ihrem Anblick begann Del fast zu weinen und verwünschte die Drahtmaschen, die sie trennten. Er steckte die Finger durch das Geflecht und berührte ihre Hand.
»Warum hast du es getan, Alma?« fragte er. »Warum hast du mich ausgesperrt? Ich weiß, ich kam zu spät, viele Stunden zu spät. Aber das war doch nicht Grund genug …«
»Das war es auch nicht, Del.«
»Was dann? Was hat dich dazu gebracht?«
Sie wandte den Blick ab. »Margie Wright. Sie hat es getan, Del. Sie ist schuld.«
»Wright? Du meinst die alte Schachtel aus dem Bridgeklub?«
Sie nickte. »Sie – sie rief mich gegen halb zehn an und sagte, sie müsse mir etwas sagen, in meinem eigenen Interesse. Etwas, das ich wissen müßte.«
»Wissen? Was denn wissen?«
»Margie war draußen vor ihrem Haus und rollte gerade den Gartenschlauch ein oder so, als sie deinen Wagen vorbeifahren sah. Sie erkannte den Wagen, sie erkannte dich. Und sie sagte –« Alma verdeckte die Augen –, »du hättest eine Frau im Wagen. Eine fremde Frau, und sehr hübsch.«
Die Sherlock-Methode
Ivers hätte nicht zu sagen gewußt, was ihm an Cardoza mißfiel – er mochte den Mann einfach nicht. Tief zurückgelehnt in Cardozas Tausend- Dollar-Ledersessel, ließ er Cardozas Eis in Car- dozas Whiskey kreisen und sah sich in dem Junggesellenapartment um, auf der Suche nach etwas, worüber er lästern konnte. Cardoza selbst lieferte ihm schließlich einen Ansatzpunkt. Er stand in unnötiger Pose vor den Bücherregalen. (Normalerweise bekam er dreißig Dollar die Stunde; er war Dressman). Mit langen, schmalen Fingern nahm er ein Buch aus dem Regal und betrachtete entzückt den Rücken.
»Bist du ein Jünger, Hal?« fragte er.
»So jung nun auch wieder nicht«, knurrte Hal Ivers.
Cardoza lachte pflichtschuldig. »Ich meinte einen Baker-Street-Jünger. Bist du Sherlock-Holmes-Fan?«
»Ich habe ein paar Stories gelesen. Nicht schlecht, wenn man so etwas mag.«
»Nicht schlecht? Das ist die Untertreibung der Woche! Offen gestanden halte ich Holmes für die aufregendste literarische Figur, die je geschaffen wurde. Wahrscheinlich weißt du es nicht, aber als wir zusammen im College waren, habe ich Lehrbuchumschläge um den Hund von Baskerville und ähnliche Titel gelegt. Mit bestem Ergebnis. Alle hielten mich für lerneifrig, während ich mich nur amüsierte.«
Jungenhafte Begeisterung rötete sein hübsches Gesicht. Bei jedem anderen hätte sich Ivers großmütig-amüsiert gezeigt, nicht aber bei Cardoza.
»Sherlock Hohnes«, sagte er langsam, »das ist alles nur Blödsinn.«
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden. Das Getue um seine deduktiven Fähigkeiten ist doch nur Täuschung. Nach einem Blick auf die Schuhe eines Mannes behauptet er, der Kerl sei Junggeselle, stochert sich in den Zähnen herum, liebt dicke Frauen und nimmt Oboenunterricht. Meiner Meinung nach Blödsinn!«
»Ich finde das nicht fair«, antwortete Cardoza sichtlich gekränkt. »Die deduktive Methode gehört bei der Polizei zur Routine. Holmes hat keine Schlußfolgerung gezogen, die er nicht begründen konnte.«
»Klar. All seine Schlußfolgerungen waren begründet, denn so hat Conan Doyle die Geschichten ja angelegt. Doyle reichte Sherlock die Hinweise auf einem silbernen Tablett. Wenn Holmes feststellen sollte, daß ein Mann in der letzten Zeit viel geschrieben hatte, verpaßte er ihm bequemerweise Tintenflecke an den Fingern und abgestoßene Manschetten. So einfach machen es einem die Autoren – aber im richtigen Leben ist das nicht so.«
Während seiner Worte behielt er Cardoza im Auge. Die Wirkung seiner These spiegelte sich sofort auf dem Gesicht des anderen. Die kleinen Wangenmuskeln, die Ivers haßte (er selbst hatte ein glattes, fleischiges Kinn), begannen zu zucken, in Cardozas klaren grauen Augen (Ivers’ waren dunkelbraun und zu klein für sein rundes Gesicht) stand ein schmerzlicher Ausdruck.
»Ich finde, du irrst dich«, antwortete Cardoza. »Vielleicht kann man nach einem kurzen Blick auf die Schuhe eines Mannes nicht gerade behaupten, er stochert in den Zähnen, aber aus der Erscheinung oder den Besitztümern einer Person läßt sich viel ableiten. Nehmen wir einmal dich. Ich brauche dich nur so anzuschauen, um zu wissen, daß du heute abend kein Rendezvous mit deiner Freundin hast.«
Ivers
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