Coolman und ich (German Edition)
hören.
»Ich bin’s, Kai! Ich bin bei der Polizei!«, brülle ich in den Hörer.
»Du willst ein Ei? Wo soll ich denn jetzt ein Ei herkriegen?«, brüllt Anti zurück.
»Nicht Ei! Polizei!«
»Polizei? Was hast du angestellt?«
»Nichts. Du musst mich hier rausholen!«
»Ich soll dir einen Strauß holen?«
»Nicht Strauß holen! Rausholen!«
Es dauert ewig, aber dann hat sie begriffen. Wenn es wirklich drauf ankommt, kann man sich auf Anti verlassen. Hoffe ich zumindest. Mir bleibt auch nichts anderes übrig. Anti ist die Einzige, die mich hier rausholen kann.
Völlig unnötig. Die Polizisten halten mich für so harmlos, dass sie mich noch nicht einmal in eine Zelle stecken. Ich hocke müde auf einer Holzbank. Von ihrem Schreibtisch aus können mich die Polizisten hier gut im Auge behalten. Sie haben mir sogar eine Cola angeboten, damit ich nicht einschlafe, während ich auf einen Erziehungsberechtigten warte.
Ich muss zweimal hinsehen, ehe ich meine Schwester erkenne. Sie hat sich extra umgezogen. Sie trägt das weiße Kleid, das ihr meine Eltern zum 15. Geburtstag geschenkt haben und das sie damals noch nicht einmal anprobieren wollte. Dazu hat sie ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sieht richtig hübsch aus, mal abgesehen von den schwarz lackierten Fingernägeln.
»Sie ahnen gar nicht, wie viel Ärger uns mein Bruder schon gemacht hat«, schleimt meine Schwester die beiden Polizisten voll. »Ich bin ja so froh, dass Sie sich um ihn gekümmert haben, ehe noch etwas Schlimmeres passiert ist.«
Dann erzählt sie ihnen, dass unsere Eltern Botschafter einer südostchinesischen Republik seien, ständig auf Reisen und nie daheim, um sich um mich zu kümmern. Kein Wunder, dass ich da ab und zu über die Stränge schlagen würde. Aber eigentlich hätte ich einen guten Kern und wäre kein wirklich schlechter Mensch. Sie selbst hätte ja leider auch keine Zeit, weil sie sich ehrenamtlich um ausgesetzte Wellensittiche und Zwergkaninchen kümmern würde.
Keine Ahnung, ob sie meiner Schwester das Gesülze glauben oder ob sie einfach nur froh sind, mich loszuwerden. Tatsache ist: Die beiden Polizisten lassen mich laufen und verzichten sogar auf die Anzeige.
Warum soll ich nicht auch mal Glück haben?
7. Kapitel
Nichts wie weg, weit, weit weg!
Mein Glück hält nicht lange an. Wie sollte es auch? Ich bin Kai und mein zweiter Vorname ist Pech. Oder
Coolman
, was am Ende auf dasselbe hinausläuft. Kai Pech
Coolman
Baumann: Den Namen sollte ich mir auf Visitenkarten drucken lassen.
Auch wenn die aufgehende Sonne unser Grundstück in ein sanftes Hellrosa taucht, ist schon von Weitem zu erkennen, dass vom Haus meiner Eltern nur noch die Grundmauern stehen. Okay, das ist etwas übertrieben. Aber nicht sehr. Wirklich nicht.
Das Erste, was mir auffällt: Die Schaukel im Garten ist weg. Stimmt aber gar nicht. Sie ist nicht weg, sondern steht jetzt im Vorgarten unserer Nachbarn. Dabei haben die gar keine Kinder, nur eine sabbernde Dogge, die bestimmt nicht gern schaukelt. Da, wo die Fundamente waren, sind jetzt vier Löcher in unserem Vorgarten. Der Scherzkeks, der die Schaukel letzte Nacht ausgegraben hat, hat sich nicht die Mühe gemacht, die Löcher wieder zuzuschaufeln. Der ganze Garten sieht aus wie ein frisch durchgepflügter Acker.
Sogar Anti zögert einen Augenblick, ehe sie aufschließt. Drinnen ist alles stockduster, weil vor den Fenstern noch die Verdunkelungen hängen. Ich reiße die Pappen von den Scheiben und das Licht dringt endlich ungehindert ins Wohnzimmer.
Sofort bereue ich, was ich getan habe. Es ist, als läge man morgens im Halbschlaf im Bett und jemand zieht einem mit einem einzigen Ruck die Bettdecke weg. Die Sonne scheint jetzt ungehindert herein, und ich gehe jede Wette ein, wenn ich meinen Eltern erzähle, eine Herde wild gewordener Büffel sei durch unser Wohnzimmer galoppiert, würden sie mir das sofort glauben. Anders ist die totale Verwüstung um mich herum nicht zu erklären.
Auf dem angesengten Teppichboden liegen überall leere Bierdosen zwischen heruntergerissenen schwarzen Luftschlangen, und an den Wänden kleben die hellbraunen Tongeschosse, die über Nacht hart geworden sind und jetzt aussehen wie Steighilfen an einer Kletterwand. Vor Papas Anlage türmt sich ein schwarzer Scherbenhaufen. Es sind die Reste der Plattensammlung meines Vaters, und ich kann nur hoffen, dass er sich MP3-Kopien seiner seltenen und absolut unwiederbringlichen
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