Coolman und ich (German Edition)
Liveaufnahmen gemacht hat. Ist aber eher unwahrscheinlich, weil mein Vater nicht viel am Hut hat mit Computern und MP3 für die Abkürzung für ein Schnellfeuergewehr hält. Auch seine Anlage sieht nicht besonders gut aus. Tiefe Kratzer laufen quer über die matt lackierte Oberfläche, und es braucht nicht viel Fantasie, um daraus ein unanständiges Wort zu entziffern.
Ich hole einen Stift und liste auf einem Blatt Papier die Schäden auf.
1) Couchtisch (Geschätzter Schadenswert: 400 Euro)
2) Papas Anlage (Schadenswert: 15000 Euro)
3) Mamas asiatische Vasen (Geschätzter Schadenswert: 200000 Yen)
4) Teppichboden (Geschätzter Schadenswert: keine Ahnung, teuer jedenfalls)
5) Wände
Die müssen neu gestrichen werden, falls meinen Eltern die neue Kletterwand in ihrem Wohnzimmer nicht gefällt (Geschätzter Schadenswert: mindestens so teuer wie der Fußboden)
6) Papas Plattensammlung (Geschätzter Schadenswert: unbezahlbar)
Das ist nur eine grobe Übersicht. Kleinkram wie kaputte Gläser, zerfledderte Bücher und die Reinigungskosten für Papas goldenes Saxofon sind da noch gar nicht drin.
Aus der Küche besorge ich mir eine Rolle großer blauer Müllsäcke und einen Besen, um die gröbste Unordnung zu beseitigen. Meine Schwester hat sich gleich in ihr Zimmer verzogen, um sich das weiße Kleid wieder auszuziehen. Ihr Zimmer ist der einzige Raum im ganzen Haus, der unbeschadet geblieben ist. Anti war klug genug, ihre Tür gestern Nacht abzuschließen.
»Willst du nicht helfen, aufzuräumen?«, rufe ich, als sie nach zehn Minuten immer noch nicht zurück ist. Anstatt einer Antwort dreht sie ihre Musik voll auf. Das hätte ich mir auch denken können.
Nach acht gefüllten Plastiksäcken sieht das Wohnzimmer noch genauso schlimm aus wie vorher. Das scheinen die Fische in Papas Aquarium ähnlich zu sehen. Zuerst haben sie noch neugierig geglotzt, was ich da mache. Jetzt wenden sie sich wieder interessanteren Dingen zu wie Luftblasen steigen lassen, an Algen knabbern oder was es für Fische sonst noch an spannenden Abenteuern gibt. Immerhin scheinen ihnen die Salzstangen, mit denen Justin und Alex sie gefüttert haben, nicht geschadet zu haben.
Mein Blick fällt auf das Chaos, dann auf die Liste mit den Schadensfällen. Selbst wenn ich mir die Wiedergutmachungszahlungen mit Anti teile, kann ich frühestens zu meinem 45. Lebensjahr wieder mit einem monatlichen Taschengeld rechnen. Von dem Ärger, der uns erwartet, wenn Romeo und Julia zurück sind, mal ganz abgesehen.
Je länger ich darüber nachdenke, desto reizvoller erscheint mir
Coolman
s Vorschlag. Im Prinzip ist es ganz einfach: Ich verschwinde, baue mir unter einem falschen Namen irgendwo im Ausland eine neue Existenz auf und komme irgendwann nach Jahren reich und berühmt zurück zu meinen greisen Eltern, die ihr Glück nicht fassen können, ihren verlorenen Sohn wieder in die Arme zu schließen.
Ich stelle den Besen in die Ecke und gehe in mein Zimmer. Wenn man einmal einen Entschluss gefasst hat, ist plötzlich alles ganz einfach. Den Rucksack habe ich schnell gepackt: Schlafanzug, Hose, Unterwäsche, zwei T-Shirts, meinen Stoffbiber und ein Buch. Mehr brauche ich nicht. Abgesehen natürlich von meinem Ersparten. Zusammen mit dem, was von meinem letzten Geburtstag noch übrig ist, bin ich stolzer Besitzer von 29,45 Euro.
Ich stopfe das Geld in meine Tasche und schnappe mir meinen Rucksack. An der Tür bleibe ich noch einmal kurz stehen, um mir das Bild meines ehemaligen Zuhauses auf meine geistige Festplatte zu brennen: mein Schreibtisch, mein Bett, mein Schrank, mein Lego, meine Bücher, meine Kuscheltiere.
Lebt wohl!
War eine gute Zeit mit euch!
Ich reiße mich los und mache mich auf die Suche nach einem Foto von meinen Eltern, damit ich in den vor mir liegenden einsamen Jahren nicht vergesse, wie sie aussehen. Aber das einzige Foto, das ich in der Eile finden kann, ist das Premierenbild aus der Zeitung. Egal, ich falte es zusammen und stecke es zu meinen Ersparnissen.
Auf die Rückseite eines Einkaufszettels schreibe ich einen kurzen Abschiedsgruß:
»Ich war es nicht! Euer Kai!«
Nach kurzem Überlegen füge ich ein »Sorgt euch nicht um mich. Irgendwann sehen wir uns wieder« hinzu.
Von Anti werde ich mich nicht verabschieden. Soll sie sich ruhig ihr Leben lang Vorwürfe machen, dass sie nicht besser auf mich aufgepasst hat. Geschieht ihr ganz recht, schließlich ist sie doch schuld an dem ganzen Desaster.
Ich schließe die Haustür
Weitere Kostenlose Bücher