Cop
paar Pferde das bräunliche Gras der Weide. Es ist kein Mensch zu sehen, aber ein Fenster ist erleuchtet, und in einem selbst gezimmerten Verschlag aus verwitterten Sperrholzplatten steht ein grauer Pick-up. Eine Reifenschaukel hängt von einer großen, alten Eiche und baumelt stumm vor sich hin.
»Da halten wir an. Wir verarzten dich und lassen den Wagen verschwinden. Ist viel zu gefährlich, weiter damit rumzufahren.«
»Aber was ist denn nur passiert, Henry?«
»Erklär ich dir später.«
»Und warum mussten wir das Geschirr dalassen?«
»Weil die Polizei hinter uns her ist. Das hab ich dir doch schon gesagt. Scheiße, du hast doch gesehen …«
»Ich hab nichts gesehen.«
»Doch, du hast die Bullen in der Einfahrt …«
»Ich hab gar nichts gesehen. Ich hatte solche Schmerzen.«
Henry wirft ihr einen langen, unergründlichen Blick zu. Maggie weiß nicht, was der Blick zu bedeuten hat, auch aus dem Gespräch der beiden wird sie nicht schlau. Natürlich hat Beatrice das viele Blut gesehen, und auch die Polizisten, die sich nicht mehr rührten. So was kann man nicht übersehen. Trotzdem behauptet sie genau das Gegenteil.
»Wie geht’s dir, Liebling?«
Maggie dreht sich zu Beatrice und schaut sie an. »Gut.«
»Keine Angst, Sarah, wir schaffen das schon. Wir haben dich lieb. Du hast doch keine Angst, oder?«
Statt zu antworten, sieht Maggie rüber zu dem Haus. Bald sind sie da. Sie betrachtet das erleuchtete Fenster. Was für Leute dort wohl wohnen? Sie stellt sich einen Cowboyhut mit salzig-weißem Schweißrand vor, der an einem Haken neben der Tür hängt. Einen Mann auf der Couch in schmutziger langer Unterwäsche. Eine Frau, die Socken stopft. Und ein Baby, das auf dem Teppich spielt, nackt bis auf eine Stoffwindel. Vielleicht können ihr diese Leute helfen. Henry will bei dem Haus anhalten. Vielleicht ist das ihre Chance – vielleicht kann sie das eine, entscheidende Wort mit den Lippen formen, wenn er gerade nicht hinschaut: Hil-fe. Und wenn sie es verstehen und ihr helfen, kann sie vielleicht doch noch fliehen.
»Und pass auf, dass du dich ordentlich benimmst, Sarah. Kapiert?«
Heißes Blut schießt ihr ins Gesicht. Sie fühlt sich ertappt, als hätte er ihre Gedanken gelesen, als hätte er sie durchgeblättert wie Karteikarten und alles gesehen, was sie sich heimlich notiert hat. Genau wie Borden.
Aber Borden war eine Einbildung. Henry gibt es wirklich.
Sonst hätte er nicht auf Daddy schießen können. Sonst hätte Daddy nicht mit einem Loch in der Brust dort in der Einfahrt gelegen.
Und das alles ist ihre Schuld. Hätte sie Daddy nicht angerufen, wäre nichts von alldem geschehen: Daddy wäre nicht vorbeigekommen, Henry hätte nicht geschossen, den Polizisten wäre nichts passiert. Sie würden zu Hause mit ihrer Familie am Abendbrottisch sitzen, statt im Krankenhaus zu liegen oder im Sarg.
»Sarah?«
Maggie sieht ihn an.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Ein stummes Nicken.
»Wir gehen jetzt da rein und tun, was getan werden muss. Wenn du den Mund hältst und alles glattläuft, kommt niemand zu Schaden. Aber wenn du Scheiße baust, sterben die Leute, die in diesem Haus wohnen, und davon hast du auch nichts. Kapiert?«
Noch ein Nicken.
»Gut.«
»Aber du wirst doch niemanden umbringen?«, fragt Beatrice.
»Sei still, Bee.«
»Aber Henry …«
»Ich mein’s ernst, Schnauze jetzt.«
Beatrice starrt aus dem Fenster, während Henry in die Tasche greift und ein altes Taschentuch herauszieht. Er spuckt einmal drauf und hält es Maggie unter die Nase. Was soll sie damit? Trotzdem nimmt sie es entgegen, sie hat ja keine Wahl. Als sie seinen Speichel riecht, dreht sich ihr der Magen um.
»Wisch dir das Gesicht ab«, sagt er. »Wir können da nicht reingehen wie drei Gestalten aus ’nem Horrorfilm.«
Henry fährt vom Interstate ab und rollt eine einspurige asphaltierte Straße hinunter auf das kleine Backsteinhaus zu. Das Seitenfenster des Pick-ups hat er heruntergekurbelt, die Sonne ist fast verschwunden, und trotzdem ist es immer noch brütend heiß.
Vor der Einfahrt versperrt ein Tor den Weg. Henry hält an und steigt aus, um es zu öffnen, doch es ist mit einem Vorhängeschloss gesichert. Also geht er zurück zum Wagen, steckt den Arm durch die offene Tür und drückt auf die Hupe. In der stillen Abendluft klingt das Hupen doppelt so laut. Er ist sich nicht sicher, was er gleich sagen soll, erst recht nicht, wie er Beatrice’ Verletzung erklären soll – er weiß ja
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