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noch immer verpflichtet, zu erzählen und zu beschreiben, obwohl ich weiß, dass Metaphern des Sehens und Hörens irreführend sind. Yosil hat Recht: Neue Wahrnehmungen verlangen ein neues Vokabular. Raum und Nähe haben in dieser Sphäre eine andere Qualität – hier hängt der Ort von Affinität ab. Liebe, Hass und Besessenheit können zwei Seelenflackern für eine gewisse Zeit einander näher bringen. Wenn sich ein Paar bildet, erscheint manchmal ein neues Glimmen, dass abrupte Hoffnung zum Ausdruck bringt. Heirat, vermute ich und gebe dem Phänomen einen beruhigend vertrauten Namen. Und Kinder.
Nicht alle Paare bleiben auf Dauer in Glück vereint, doch von manchen gehen sanfte Aromen der Freude aus.
Die Vorstellung von der »verwandten Seele« gewinnt dadurch eine ganz neue Bedeutung. Wie viele sehnsüchtige Teenager haben sich gewünscht, jene eine besondere Person mit all den richtigen Komplementaritäten für perfekte Harmonie zu finden? Diese romantische Idee erschien mir immer dumm und töricht, da sie die Arbeit und Kompromisse außer Acht lässt, die wahre Liebe erfordert. Doch während ich mich in dieser Seelenlandschaft umsehe, bemerke ich Charaktermuster und Wesenstexturen, die offenbar zueinander passen und harmonische Verbindungen versprechen, wenn sie zusammengeführt werden.
Ein einfallsreicher Unternehmer, der diese Technik für eine verbesserte Partnervermittlung einsetzen würde, könnte viel Geld verdienen…
Doch als Yosil Maharal dieses Fenster zu einer tieferen Schicht der Realität plante, hatte er an etwas viel Erhabeneres gedacht. Man nehme das, was geschieht, wenn ein Flackern zu verblassen beginnt. In der so genannten realen Welt haben wir einen Namen dafür: Tod.
Einige der glühenden Flecken brennen mit unverkennbarem Mut, während ich bei anderen den Rauch von Verzweiflung sehe. Und im allerletzten Moment unternehmen einige von ihnen einen kurzen, ekstatischen Versuch, woandershin zu gelangen.
Da ist einer! Ein sterbender Fleck löst sich aus der weiten Öde, schwebt wie ein Löwenzahnsame empor, funkelt verheißungsvoll…
… und fällt auf die ausgedorrte Ebene zurück, erlischt dort mit einem letzten Flackern und hinterlässt nur einen staubigen Abdruck. Überall weist die Landschaft solche Abdrücke auf, in allen Richtungen. Mehr als ich zählen könnte. Und die meisten von ihnen fühlen sich alt an.
Es passiert immer wieder. Die Sterbenden wiederholen die vergebliche Anstrengung, einer nach dem anderen. Warum versuchen sie es, obwohl es doch nutzlos bleibt? Fühlen sie ein Ziel, das ihre Bemühungen lohnt, wie aussichtslos die Sache auch zu sein scheint?
Es gibt da etwas… Meine neuen Sinne weisen mich darauf hin. Vielleicht ist es die gleiche Verlockung, die Religionen zugrunde liegt – das Potenzial für eine Phase jenseits von Ei und Kind jenseits von Larve und Jugend. Jenseits von erwachsenen Männern und Frauen. Die Hoffnung auf Kontinuität und Fortpflanzung – vielleicht sogar auf endlose Ausbreitung in einer gewaltigen neuen Domäne. Dieses Potenzial ist jetzt ganz deutlich für mich!
Was hält sie zurück? Mangel an Glauben? Göttliches Urteil?
Nein. Jene alten Entschuldigungen genügen nicht. Sie genügten nie. Wo ist die Logik darin, das Heil von den Launen eines Schöpfers abhängig zu machen oder Lob zu erflehen? Oder in Gebeten und Beschwörungen, die sich von Kultur zu Kultur unterscheiden? Das ist weder logisch noch wissenschaftlich. Der Rest der Natur funktioniert ganz anders.
Denk nach, Albert. Denk an all die Tragödien, die das menschliche Leben seit den dunklen Anfängen unserer Spezies heimgesucht haben. Krankheit stahl uns unsere Liebsten. Hunger dezimierte den Stamm. Unwissenheit und primitive Sprache verhinderten die Weitergabe des geringen erworbenen Wissens. Oder man nehme die ärgerliche Unbeholfenheit der Hände oder die langsamen Füße. Oder den Fluch, immer nur an jeweils einem Ort zu sein, obwohl zahlreiche Dinge erledigt werden mussten! Schamanen und Priester konnten diese Probleme mit ihren Verordnungen ebenso wenig lösen wie gönnerhafte Mystiker und herablassende Mönche.
Technik. Sie verbesserte die Dinge! Sie bot uns – sporadisch zunächst, und oft missbraucht – Gelegenheit, Antworten zu finden, die vernünftig und zuverlässig waren, nicht von irgendwelchen Launen abhingen. Antworten, die für Herrn und Diener gleichermaßen galten. Antworten, die das Leben überall verbesserten und nie verschwanden.
Warum nicht die
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