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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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vierzig Meter tief –, daß er für Minuten vergaß, in
einer Spielsimulation zu leben. Die Furcht nahm ihm fast den Atem, er streckte
den Kopf aus dem Wasser und riß sich den Schnorchel herunter – aber die blaue
Tiefe unter ihm sog seinen Willen förmlich auf, und immer wieder zwang sie ihn,
hinabzublicken und sich unendlich zu fürchten. Als eine Qualle träge
vorbeischwebte, umkreiste Hyazinth das Tier und wäre wohl stundenlang neben ihr
hergeschwommen, dankbar für die Nähe eines lebendigen Wesens in dieser stillen,
toten, gläsernen Bläue – wenn das Ziel ihres einsamen Weges die ferne Insel und
nicht das offene Meer gewesen wäre… Schließlich nahm er die Taucherbrille ab
und ließ sie in die lockende, gräßliche Tiefe sinken. Nun konnte er zwar nicht
mehr die glasklare Durchsichtigkeit sehen, aber geholfen war ihm überhaupt
nicht, denn das Bild hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und nun, da er
es noch im Geiste sah, wurde die Angst unerträglich. Er hob das Kinn hoch über
die Wellen und strampelte, als ginge es um sein Leben, tauchte das Gesicht
nicht ein einziges Mal ins Wasser, obwohl da eine lautlose Stimme immerzu rief:
Komm, komm, komm…
    So etwa fühlte Hyazinth auch
jetzt, mit entschieden weniger Furcht, aber diese Ahnung von etwas unendlich
Großem und Mächtigem durchschwebte ihn wie ein gewaltiger Klang.
    “Und nun zur Demonstration.”
Beryll hatte ununterbrochen geredet, und jetzt erst wurde Hyazinth sich dessen
wieder bewußt. “Wir werden uns einige Schopenhauerwelten ansehen, die Bürger
der DTEA sich selbst geschaffen haben – aber wir werden nur Gast sein, Beobachter.
In die Überbewußteinssphäre des jeweiligen Weltenschöpfers dürfen wir nicht
eindringen. Wir sehen uns gewissermaßen nur die Kulissen an. Allein das ist
interessant genug und verschafft dir einen guten Einblick in die Möglichkeiten
von Copyworld …”
    Er führte Hyazinth zu einem
flachen, unscheinbaren Gebäude, öffnete ein paar ganz gewöhnliche Türen. Dann
standen sie in einer normalen Perzeptorzelle, die sich von denen, die Hyazinth
kannte, lediglich dadurch unterschied, daß sie mit zwei Perzeptionsplätzen ausgestattet
war, statt mit nur einer Liege. Hyazinth hatte Mühe, seine Enttäuschung zu
verbergen. Was hatte ich eigentlich erwartet, fragte er sich später vergeblich:
Irgendeinen intellektronischen Gott, der mir lächelnd die goldene Pforte zu
seinem Himmelsreich öffnet? Alles verlief wie gewohnt. Er legte sich in die
Polster und schloß die Augen. Am leisen Summen erkannte er, daß sich der
Varioadapter auf ihn herabsenkte, er spürte die weichen Finger der
Manipulatoren, die ihm das Vollkörpertrikot vom Leib zogen, mit einer
Zärtlichkeit, die ihn immer aufs Neue überraschte. Solche geschickten Hände
hatte nur eine seiner Frauen gehabt, Marone. Jade hatte immerzu gezerrt und
gerissen vor Ungeduld, einmal hat sie ihm das Mykorrhizatrikot regelrecht vom
Körper gefetzt, daß tausende Würzelchen abrissen und in seiner Haut
steckenblieben. Diese Manipulatoren konnte nur eine Frau wie Marone konstruiert
haben.
    Auch diesmal hatte Hyazinth eine
schwache Erektion, wie jedesmal. Er lachte leise auf und dachte: Wie profan hat
die Natur uns doch gemacht, wenn sogar eine Maschine imstande ist, mir den
Befehl zur Fortpflanzungsbereitschaft zu erteilen…
    Dann fühlte er das Prickeln, mit
dem sich die zahllosen feinen Drähtchen in den Körper bohrten.
    Und plötzlich sagte Beryll: “So,
nun komm, Wunderknabe!”
    Hyazinth öffnete die Augen und
bemerkte erstaunt, daß der Varioadapter wieder abgehoben hatte. Die flinken und
zärtlichen Manipulatorfinger hatten ihm auch sein Trikot wieder übergestreift.
    “Was ist? Irgendwas
schiefgegangen?”
    “Komm runter von der Liege! Du
wirst schon sehen…”
    Beryll sagte nichts weiter und
drehte sich zur Tür. Geschwind erhob sich Hyazinth und trottete dem Obersten
Projektanten brav hinterher.
    Eine Panne! dachte er mit leiser
Befriedigung. Haha, Herr Oberstes Großmaul! In Ihren Theorien hört sich das ja
alles extrem aufregend an, aber mit der materiellen Struktur des Seins ist es
eben eine andere Sache. Die Quanten machen eben stur, was sie wollen, haha!
    Sie gingen durch dieselben Türen
und Korridore wie vor wenigen Minuten, und Hyazinths Befriedigung wuchs zu
hämischem Triumph. Er feixte in sich hinein und rieb sich schadenfroh die Hände
angesichts Berylls mürrischen Schweigens. Deutlich wurde ihm bewußt, daß ihre
Annäherung

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