Copyworld: Roman (German Edition)
schlechthin
am Leben erhalten und dafür all ihre – oder fast ihre gesamte – Kraft
einsetzen. Sie erhebt sich über die Abhängigkeit von materieller Struktur,
indem sie sich diese total unterwirft. Für uns Menschen war unsere Existenz
immer ein Kampf ums Dasein – Copyworld dagegen schafft Dasein! Begreifst du diesen grundsätzlichen Unterschied
nicht? Copyworld selbst ist keine
Zivilisation, sondern eine Welt unzähliger Zivilisationen, ein Universum voller
Welten, ein Multiversum unendlich vieler Universen – aber dieses Multiversum
braucht Energie. Unsere Realität ist für Copyworld nichts weiter als die Punktzelle für deinen
Rasierapparat. Was für ein kompliziertes Gebilde, dieser Rasierer – doch was
ist er ohne die simple Zelle? Nichts weiter als eine zwar imposante, jedoch
sinnlose Struktur. Ohne eine real existierende Zivilisation kann Copyworld nicht existieren.”
“Das bezweifle ich”, antwortete
Hyazinth trocken. “Nach allem, was du mir bisher erzähltest, muß ich diese
letzten Worte als mir unbegreiflichen Widerspruch zum vorher Gesagten
bezeichnen: Copyworld wird nicht zulassen,
daß man es ewig aus einer Knopfzelle speist. Zur Zeit mag es sich
vergleichsweise in der Situation eines Säuglings befinden, der nur saugen und
schlucken kann. Aber irgendwann wird er herausfinden, daß man auch Suppe kochen
kann, daß man die Zutaten selbst anbauen oder züchten, daß man den Acker düngen
und das Vieh genetisch verändern, daß man Nahrung synthetisieren kann… Woher
willst du wissen, daß es auf ewig das Bewußtsein real existierender Menschen
benötigt? Außerdem”, Hyazinth lächelte etwas ironisch, “glaube ich dir nicht,
daß dies der wahre Sinn der Gesundheitswache sein soll. Ich denke, die Aufgaben
des Wächters sind viel... äääh... delikaterer Natur.”
Zuerst schaute Beryll leicht
desorientiert, dann lachte er schallend. “Ach so, du bist wieder im Hier und
Heute mit deinen Gedanken. Natürlich hat die Wache auch ganz aktuelle
Zielstellungen, die – das bleibt einem Wunderkind selbstverständlich nicht
verborgen – über die Sorge um die physische Gesundheit unserer Menschen
deutlich hinausgehen. Man könnte es so nennen”, er blinzelte etwas spöttisch,
“daß es vor allem um die seelische Gesundheit unserer Menschen geht…”
In diesem Augenblick hielt die
Kabine, Beryll sprang auf und eilte durch die Schleuse.
“Komm, wir sind am Ziel!” rief er
noch, bevor er schnell weiterging. Hyazinth hatte Mühe, ihm zu folgen. Auf die
Umgebung achtete er nicht weiter, zu sehr beschäftigte ihn das abrupt
unterbrochene Gespräch mit dem Obersten Projektanten. Seine Gedanken kreisten
fortwährend um einige Ungereimtheiten, die er in Berylls Darstellung zu finden
meinte. Zwar hatte der Oberste Projektant jede seiner Fragen beantwortet – doch
schwante Hyazinth dunkel, Beryll müsse wohl ein Meister der Rhetorik sein: Oft
hatte er nach einer halben Antwort das Thema geschickt gewechselt, dabei
offenkundig seiner sicher, daß Hyazinths Gedanken ohne Zögern zu dem neuen
Angebot greifen und das eigentliche Problem zurückstellen würden. Es war ja
auch so gewesen!
Oh, verdammt noch mal! Auf einmal
wurde Hyazinth klar, daß er wohl hätte fragen können, was ihm beliebte: Beryll
hatte ausnahmslos das geantwortet, was er antworten sollte, hatte nur gesagt,
was er mitteilen wollte – dabei aber geschickt den Schein gewahrt, Hyazinth
hätte das Gesprächsthema bestimmt. Phantastisch! Der Mann ist Spitze! dachte
Hyazinth mit ehrlichem Respekt. Geistige Disziplin war ihm selbst weitgehend
fremd, deshalb bewunderte er seit jeher große Rhetoriker und Polemiker – seine
eigenen Fähigkeiten wurzelten hingegen gerade im zügellosen Wuchern des
Denkens, dessen Ergebnisse demzufolge mehr zufällig waren. Doch schien es, man
könne aus der Häufigkeit dieser Zufälle eine gewisse Regel ableiten, ein
Prinzip – vielleicht ähnelte seine Bewußtseinsstruktur mehr der seines
Unterbewußtseins, als bei anderen Menschen üblich? Die scheinbar chaotischen
Wege des Subrationalen folgen doch auch einer Methode…
Ob Copyworld ein Unterbewußtsein haben wird? Welche Folgen
könnten sich daraus ergeben? Vielleicht werden die Abermilliarden
Schopenhauerwelten seinen subrationalen Sektor darstellen…
Sie passierten einen düsteren
Tunnel, der Hyazinth sehr an die regelmäßigen medizinischen Kontrollen in der
Lebensquelle erinnerte: Auf einem den Körperformen
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