Copyworld: Roman (German Edition)
aneinander nur ein unsicherer Waffenstillstand gewesen war. Er –
Hyazinth – hatte ja gar keinen Frieden gewollt, er hatte sich nur überrumpeln
lassen durch die Faszination dessen, was Beryll Stein erzählt hatte.
Schließlich erreichten sie den
Ausgang des Flachbaus. Beryll drehte sich um und grinste, dann öffnete er die
Tür. Eisiger Wind wehte Hyazinth entgegen, der verwirrt über die Schwelle
stolperte, in eine friedliche Winterlandschaft hinein. Wie hunderte
schneeweißer Brüste wölbten sich Hügel aus der weiten Ebene, in der Ferne ragte
der schartige Schlot eines Vulkans bis dicht unter das stumpfe Bleigrau der
Wolken. Die Bäume trugen dicke Kappen aus Eis, ähnelten eher gläsernen Pilzen.
Und in einer Distanz von vielleicht zwei Kilometern erkannte Hyazinth ein
merkwürdiges Bauwerk: Wie von Riesenhand hingeworfene Felsquader, alle unter
einem mächtigen Eispanzer, und aus diesem bizarren Steinhaufen stach die Nadel
eines schlanken Turms, von dem herab ein schauerlicher Laut dröhnte, wie das
Blöken einer geprügelten Kuh.
“Die Tungula”, sagte Beryll leise,
“er hat uns schon bemerkt.”
Ein blöder Trick, dachte Hyazinth
beleidigt. Das Theater hätte Beryll sich sparen können, dieser
Schmierenkomödiant!
“Das ist doch nichts weiter als
Geo”, sagte er laut und betont abfällig. Weshalb hat dieser Affe mich unbedingt
verarschen wollen? Alberne Spielerei, dieser Gang durch Korridore und Türen!
Bloß gut, daß ich nicht gleich losgelegt habe, von wegen Panne, Pleite und so
weiter. Himmel, vielleicht hat er das gerade provozieren wollen? Pech gehabt,
Herr Oberster Klugscheißer!
“Wir sind in Seemark”, sagte
Beryll. “das ist kein Geo. Seemark ist eine komplexe Welt. Hier gibt es
metaphysische Kräfte, Zauberei, Götter – alles echt, Realität. Die Menschen
hier sind keine Projektionen, es gibt sie wirklich… Oje, da bahnt sich Ärger
an.” Beryll zeigte auf das festungsähnliche Bauwerk, in dem sich gerade ein Tor
öffnete.
“Was auch geschieht – du darfst
nichts unternehmen!” befahl er scharf. “Ich habe einen Havarieausstieg
programmiert, wir kommen jederzeit zurück in die Wirklichkeit von Weltenstein.
Vergiß das nicht!”
Ein einsamer Reiter sprengte
durch den aufstiebenden Schnee. Mit Befremden erkannte Hyazinth die drei
Stirnhörner des einem Pferd ähnelnden Tieres, die wie meterlange Spieße aus dem
gesenkten Kopf ragten. Der Fremde brüllte schon von weitem, und der eisige Wind
trug seine Worte zu Hyazinth.
“Rorik! Rorik, du mußt wahnsinnig
sein, dich mit nur einem Mann nach Seemark zu wagen!” Unbändige Wut klang aus
diesem Schrei.
“Jetzt hilft dir auch kein Zauber
mehr! Lauf Gadar, lauf, wie du noch nie für mich gelaufen bist. Heute wird
Rorik sterben!” Es war wie zorniger Jubel, und Hyazinth wurde etwas seltsam
zumute. Wer war Rorik? Er schaute schnell zu Beryll. Der hatte die Lippen
trotzig verkniffen, und in seinen Augen blitzte Haß; er flüsterte irgendetwas,
was Hyazinth nicht verstand.
Der Reiter preschte zielstrebig
auf sie zu. Ein merkwürdiger Umhang aus Leder flatterte hinter seinen
Schultern, auf dem Kopf trug er eine runde Kappe – wohl ebenfalls aus Leder –
die wie die Stirn seines Reittieres mit drei Stacheln gewappnet war. Ein
junger, kräftiger Mann. Bald konnte Hyazinth das Gesicht erkennen, und er
ergänzte seine Beobachtung: ein schöner Mann. Herbe Wildheit, aber darunter die
vage Ahnung von Güte und Zartheit – ein Mensch, zu dem Hyazinth sich sofort
hingezogen fühlte, würde er nicht mit übermenschlicher Wut auf sie zurasen, in
der rechten Faust ein Ding schwingend, dessen sanft gebogene Klinge geschmiedet
war, um Männern das Gedärm aus dem Leib zu schlitzen. Hyazinth hatte keine
Angst. Ein geübter Geospieler muß den Tod nicht fürchten, da er ihn nie erleben
wird. Trotzdem riß er sich von dem prächtigen Anblick des auf sie einstürmenden
Kriegers los und wandte sich Beryll zu.
Und dann schrie er überrascht
auf. Da stand ein Fremder. In einen purpurnen Harnisch gekleidet, auf dem ein
siebenzackiger schwarzer Stern prangte, umrandet von glitzernden Steinen.
Chrysoberylle, registrierte Hyazinth automatisch. Auch auf dem Visier des
geflügelten Helms funkelte ein taubeneigroßer Goldberyll, und in der Rechten
des fremden Recken blitzte eine sichelförmige Scheibe mit gezahntem Rand, groß
wie ein Mühlrad…
“Beryll, wo bist du?!” Hyazinth
wich entsetzt zurück und schaute sich suchend um.
“Schweig, du
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