Copyworld: Roman (German Edition)
nachgebenden
Polsterschlitten liegend, fuhren sie durch die Innereien einer schier endlos
anmutenden Reihe von Kontrollgeräten.
So ähnlich muß der Fliege zumute
sein, wenn sie durch den Schlund eines Vogels glitscht, dachte Hyazinth und
meinte, beinahe körperlich das schleimige Verdauungssekret auf der Haut zu
spüren. Plötzlich stieg aus seinem Unterbewußtsein ein anderes Bild in die
Taghelle seiner Erinnerung auf, es war ganz anders und erschreckte ihn, denn er
wußte genau, daß sich seit dutzenden von Jahren kein Mensch solch eines
Vorgangs erinnern kann. Und doch spürte er entsetzlich deutlich, ähnliches
schon einmal erlebt zu haben: All die würgenden, pressenden, stechenden oder
erstickenden Empfindungen, die von den Geräten ausgelöst wurden, die sich wie
Schlingen um seinen Hals legten, als eiserne Klauen seinen Brustkorb
einschnürten, mit den Augen der Introspektrometrie auf seinen Leib drückten
oder tausende feiner Metallhärchen durch die Haut stießen – das formte in ihm
überdeutlich ein Bild, er meinte auf einmal, erneut den Geburtskanal seiner
Mutter zu durchqueren.
Absoluter Quatsch! wies er sich
zurecht. Ich habe keine Mutter, bin wie jeder andere Bürger der Zentralstadt
von intellektronisch überwachten Brütern geboren worden, ohne jedes
Geburtstrauma friedlich und behütet in die Welt hineingewachsen, mußte mir
nicht auf barbarische, animalische Weise den Weg ins Leben unter unsäglichen
Strapazen erkämpfen.
Es gelang ihm nicht, die
Vorstellung zu verdrängen. Vielleicht lag es auch daran, daß er sich mehrmals
Vorwürfe gemacht hatte, als er zu überhastet in Jades Unterleib vorstieß, die
aufschrie vor Schmerz und ihm ärgerlich klarmachte, daß es ein
psychophysiologischer Vorgang sei, der dieser köstlichen Öffnung ihrer
gemeinsamen Lust erst den erforderlichen Durchmesser verschaffte, und er doch
bitte mehr den psychischen Aspekt dieses Vorgangs beachten solle. Dabei hatte
er immer daran denken müssen, daß die wenigen – weil nur nach strengem
Reglement genehmigten – außerhalb von Villafleur geborenen Kinder ihren Müttern
doch wie furchtbare gefräßige Maden durch den Uterus gekrochen und die Frauen
vor Qual fast gestorben sein müssen. Wie kann das den gehen, daß ein so
empfindsames und zartes Ding, das schon die heftige Ungeduld eines Mannes mit
Schmerz beantwortet, einen ganzen, wenn auch noch recht kleinen Menschen aus
der Nacht des Nurseins in die Helle des Bewußtseins zu befördern vermag?
Die Vorstellung, dies alles
selbst erlebt zu haben beunruhigte ihn zutiefst. Womöglich war er gar nicht ein
Kind der Lebensquelle Blume, sondern eines der wenigen, deren konstitutionelle
Parameter die hohe Exarchie bewogen, es in der Zentralstadt aufzuziehen,
obgleich sie in irgendeinem finsteren Winkel der DTEA aus dem Leib einer Frau
gepreßt wurden?! War das vielleicht die Erklärung für all die
Absonderlichkeiten seines Lebens: Für die Wachsschuppen, für seine deutliche
Bevorzugung anderen Märtyrerschülern gegenüber, die geheimnisvollen
Anspielungen, denen er seit Tagen begegnete – war er gar der leibliche Sohn
eines verbannten Besinnlers, eines in die Wüste geschickten, ehemaligen Exarchen der Blume-Regierung? Seine Gedanken schäumten auf wie kochende Säure.
Hatte er denn überhaupt schon ein einziges Mal in seinem Leben nach seiner
Identität gefragt?
Hyazinth aus der Familie Blume,
erste gesellschaftliche Aufgabe: Disziplinator für Ruhe und Ordnung während der
Mahlzeiten. Resultat: höchst untalentiert. Zweite gesellschaftliche Funktion:
Operativer Kurier des Vierten Subteachers für Gemeinschaftsmoral. Resultat:
denkbar ungeeignet, gehäuft Vorfälle von Unzuverlässigkeit, beabsichtigte
Falschinformationen über Moralverstöße, erste Vorladung vor den Ersten
Kindschafter. Drittes Amt: Leiter einer Fünferinitiative zur Aufklärung von
Verstößen gegen die Generalgebote. Ergebnis: mehrfache Selbstanzeigen wegen
abweichlerischer Zwangsvorstellungen, intensives Studieren des Kodex und der
Kommentare. Bitte um Suspendierung. Vierte Stellung: Traumsammler. Resultat:
ehrfürchtiges Staunen vor der Macht der Lüge, Entdeckung der schöpferischen
Kraft von Interpretationen, starke seelische Konflikte angesichts der
neuerwachsenen Fähigkeit, durch Traumdecodierung Menschen introspektiv zu
sehen. Rascher Verlust dieser Fähigkeit mit Beginn der Pubertät und
episodisches Erlebnis einer extrem egozentrischen Phase. Dann nur noch:
Pflicht,
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