Copyworld: Roman (German Edition)
Zimmer nicht mit banalem Kram gefüllt
ist – das weiß Hyazinth längst, denn unüberhörbar dringen Klänge
geheimnisvoller Musik durch die fest verschlossene Tür, Töne fremdartiger und
doch vertraut klingender Instrumente, Melodien, die Gedanken und Gefühle an die
Oberfläche seiner Seele spülen, die er auf ihrem Grund nie vermutet hätte.
Heute wird er das erste Mal in seinem Leben kämpfen.
Mitfreude,
nicht Mitleiden,
macht den Freund.
Friedrich
Nietzsche
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Kapitel 13
Das
Berulfslied
Der Dolchrichter zählte laut die
Herzschläge des Erzherrn Andorgas. Unverwandt starrte Spruchrichter Goor auf
den Verurteilten, kaum sichtbar berührte seine Rechte den Knauf des
Hackschwerts, und ebenso unmerklich schüttelte er den Kopf. Andorgas dankte ihm
den Rat mit einem schnellen Blick. Als der Dolchrichter bei siebenundzwanzig
war, machte sich Andorgas von beiden Schwertrichtern frei, die ihn bei den
Oberarmen gepackt hielten. Die Taue, mit denen er gefesselt war, knackten und knisterten
unter den Bewegungen seiner Muskelstränge. Andorgas trat vor die dreizehn
Spruchrichter, und seine Stimme brauste durch die Kuppelhalle wie der Flug von
Crrschnaas Zakraa.
“Des Rätsels Lösung: Der Feuertod
ist mir bestimmt!”
Zwölf der Richter mit dem
Spruchzepter senkten den Kopf, Goor aber lehnte sich aufatmend zurück. Es war
die Spanne eines Wimpernschlages nur, doch sah Andorgas den Widerschein von
Freude und Erregung im Blick des Freundes Goor. Er sah ein Nicken, so leicht,
wie sich das Gras dem Licht zuwendet. Und er begriff sogleich: Das ist die
Rettung!
“Falsch, Andorgas! Das Schwert
war dir als Weg gedacht, die Schuld zu büßen. Dem Herrn des Eisens sollte Eisen
ehrenvoll den Pfad ins Unbenannte weisen... Wir wollten Gnade dir gewähren.
Doch du hast falsch geraten. Nun mußt du brennen.” Der Spruchrichter des
Letzten Wortes sagte es mit ehrlicher Enttäuschung, und dann schoß er einen
Blick zu Goor - wie eine Großzakraa vom Schleuderwerk der Jorx-Bastion flog
sein Zorn durch die schicksalhafte Stille, die dem Letzten Wort folgte.
Noch nie zuvor hatte Andorgas in
seinem wilden Leben soviel Kraft zwischen den Flügeln seiner Seele gespürt wie
in jenem Augenblick, als er in den Gesichtern der Richter lesen konnte: Wir
wollten dir helfen, Andorgas. Die Götter aber wollten es anders, und dein
bester Freund - Goor, dessen Namen die Reiter der Yedu nur mit angstzitternder
Stimme aussprechen - war ihr Werkzeug. Seinem Rat folgten wir mit unserem
Spruch...
Andorgas lächelte.
“Ha! Ich habe es gewußt: Erzherr
Andorgas wird das Seil sehen und packen, das wir ihm über den Abgrund des Todes
zuwerfen!” Goor konnte nicht länger an sich halten und schrie es in wildem
Triumph heraus. Jetzt leuchtete die Freude in seinem Gesicht mit der Kraft von
tausend Sonnen.
“Schweig!!” donnerte der
Spruchrichter des Letzten Wortes.
“Gemach, gemach, ihr hohen
Richter! Recht hat Spruchrichter Goor. Ich griff euer Seil und bin gerettet!”
Die Richter ächzten und stöhnten
vor Verblüffung. Andorgas aber sprach: “Den Feuertod hab’ ich gewählt - der
Federrichter aber schrieb: Dem Mann des Eisens soll Eisen weisen seinen letzten
Weg...Ich riet demnach den falschen Tod. Und deshalb muß ich nach dem
Spruch doch brennen! Und wenn ich
brenne, riet ich richtig - das Schwert wär’ Lohn und Weg dafür. Doch kann’s das
Schwert nicht sein, da ich das Feuer wählte... Wie wollt ihr nun entscheiden?
Entscheidet, wie es euch beliebt: Ein jeder Spruch ist falsch. Ich bin
gerettet...”
Wie besoffene Weiber kreischten
die Richter, als sie begriffen.
Das Ahnenfaß aus Andorgassens
Keller, vor über tausend Jahren gezimmert von einem Sohne Berulfs, wurde leer
das erste Mal in diesen tausend Jahren bis auf den letzten Tropfen. Und auch
König Jorx war unter jenen, die siegreich unterlagen in dieser Schlacht des Geistes
gegen den Leib...
“Aber weshalb sprachen sie dich
frei? So richtig habe ich es noch immer nicht begriffen.”
“Das Urteil konnte nur
vollstreckt werden, wie es das Rätsel aus dem Buch des Todes vorschrieb. Und da es nicht vollstreckbar
war, kam ich folgerichtig frei. Weißt du, mit diesem Buch hat es eine besondere
Bewandtnis, eigentlich müßte es Buch des Lebens heißen. Jedes seiner Rätsel bietet einen Ausweg für den Delinquenten.
Stell dir vor, sie hätten mir den Feuertod bestimmt. Auch dann wäre
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