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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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die jungen Keimlinge aus dem Boden. Die ersten Schneeflocken fallen wie
Flüstern in seine Gedanken. In zarten Wirbeln fegen sie über die Hochebene.
    Es ist die Zeit der Winterstürme,
aber jedermann in Seemark hat gelernt, diese harten Monate zu lieben: Es ist
die Zeit des Friedens, denn Roriks Horden kommen erst mit den staubigen
Sommerwinden...

 
    Wer am Morgen den rechten Weg
    erkannt hat,
    könnte am Abend getrost
    sterben                                                                                                                            
    Konfuzius
(Lun-yu, IV - 8)
    _________________________________________________________

 
    Kapitel 6
    Der
Lehrer

 
    Immer noch irrt Hyazinth durch
das abendliche Villafleur, das nach dem Willen des Ersten Exarchen Korund Stein
bald Weltenstein heißen soll. Er hat sich wieder unter Kontrolle.
    Wahrscheinlich liegt das alles
nur daran, daß mein Hormonhaushalt völlig aus der Balance ist. Jade. Diese
elende Sau. Die macht mich fix und fertig. Schluß, aus, Ende - Hyazinth Blume,
reiß’ dich jetzt endlich zusammen. Vergiß diesen mageren Arsch, der Eingang zum
Paradies liegt nicht zwischen diesen beiden Schenkeln... Oh doch, doch, doch
genau dort! ...Scheiße, wichsen ist auch nicht übel...
    Die Zentralstadt der DTEA funkelt
in allen nur denkbaren Farben, in der Ferne sieht Hyazinth den Trägerkern des
Internates, der von tausenden von Wohnblasen wie in schillernden Seifenschaum
gehüllt ist, daneben der gigantische Tellerstapel der Märtyrerschule, die aus
dieser Entfernung ein wenig aussieht wie ein altertümlicher Porzellanisolator.
    Er müßte sich nun beeilen, nicht
nur, weil die Filterstopfen in seinen Nasenlöchern immer weiter anschwellen,
sondern vor allem auch, weil die Stunde der Programme naht. Dann erlöschen die
Lichter in Villafleur, und er müßte im Dunkeln durch die Stadt irren. Die
Straßen sind bereits menschenleer, aber Hyazinth hat wenig Lust, das restliche
Stück Weg mit der Labyrinthbahn zurückzulegen. Zwar gähnen überall die dunklen
Einstiegsöffnungen zu dem dichten, unterirdischen Netz dieses
Hauptverkehrsmittels der Zentralstadt, und für gewöhnlich benutzt Hyazinth die
Bahn sehr gern, weil das Wechselspiel irrsinniger Beschleunigungen,
überraschender Abstürze in bodenlose Tiefen und ebenso plötzlicher Starts bis
in die oberste Ebene dieses dreidimensionalen Röhrenlabyrinths in seinem
Unterleib immer wieder ein seltsames Prickeln hervorruft, wie er es sonst nur
aus nächtlichen Erlebnissen gänzlich anderer Art kennt – doch heute verzichtet
er gern auf die erregende Jagd dieser unterirdischen Achterbahn, um Federchen
bis zur letzten Sekunde frische Luft zu gönnen, denn morgen schon wird das
nicht mehr möglich sein. Dann ist alles bewölkt: Die Straßen und Alleen, der Steinpark,
das Freiluftzentrum für Plastik, wo man mit allerlei Werkzeugen aus unförmigen
Felsblöcken Figuren und Reliefs meißeln kann, vor allem aber auch die künstlich
errichteten Klettersteine, manche bis zu tausend Metern hoch, sind dann
bewölkt, und die Aufführungen klassischer Stücke in der Felsenbühne fallen alle
aus, bis die Rote Wolke vorübergezogen ist und Heerscharen von Ochsen ganz
Villafleur entwölkt haben.
    Federchen flattert über seinem
Kopf, zerrt spielerisch an dem Platinkettchen und zirpt begeistert, wenn er den
Zug sanft erwidert. Dieses anspruchslose Spiel liebt sie über alles. Hyazinth
blickt immer wieder auf seinen Handrücken. Die ausgetrockneten Wachsschuppen an
den Knöchelgelenken sind fast alle abgeblättert. Am liebsten würde er sich das
Mykorrhizatrikot vom Leibe reißen, um auch die Knie und Füße, die Ellenbogen
und die Linie der Wirbelsäule in Augenschein nehmen zu können. Doch er würde
damit die feinen Würzelchen der Pilzfasern abreißen, diese würden in seiner
Haut steckenbleiben und bei ihrem Zerfall eine böse Vergiftung bewirken. Einmal
hat er das schon durchgemacht, es war die erste Nacht mit Jade, und er Hatte
nur noch an ihren biegsamen Körper gedacht. Bedenkenlos fetzte er sich das
Kleidungsstück aus Mykorrhizagewebe vom Leib und merkte es nicht einmal, daß er
damit tausende von Wurzeln abriß.
    Ein Mykorrhizatrikot zieht man
nicht einfach aus, man entsteigt ihm, schält sich vorsichtig heraus, nicht
umsonst ist dieser Vorgang streng ritualisiert. Es ist fast wie die

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