Copyworld: Roman (German Edition)
bevor Hyazinth seinem Erstaunen Ausdruck geben konnte, fuhr
Opal Stein fort: “Weil wir gerade bei deinen Unarten sind: Du hast dich beim
Morgenmahl wieder unmöglich benommen. Ich weiß, ich weiß – die Wachsschuppen!
Mir ist die Wirkung des Mykorrhizatrikots durchaus nicht unbekannt. Ist dir
überhaupt jemals aufgefallen, daß Ahorn Baum mindestens doppelt so viel ißt wie
du? Wie sollte es! Du schaust ja nicht nach rechts oder links, wenn wir an der
Tafel sitzen. Ahorn leidet unter einer sehr lästigen Stoffwechselstörung, aber
er hat sich in der Gewalt. Seine Tischmanieren haben beinahe etwas tänzerisches
– da merkt niemand, daß er für drei ißt! Warum kannst du dich nicht halb so gut
zusammennehmen? Ach Hyazinth, das beste wird sein, ich stopfe dir ein Kilogramm
Gänseleberpastete in deinen unersättlichen Schlund, bevor du zur Tafel des
Exarchen gehst…”
Hyazinth schluckte bestürzt:
“Ich… zum Ersten Exarchen …” Noch konnte
er es nicht fassen. Angst schoß in ihm auf. Es ist kein Geheimnis, daß Korund
Stein – ehemals Erster Kindschafter und für seine Strenge gefürchtet –
hartnäckige Sünder unter den Märtyrerschülern gelegentlich zu einer Audienz
befiehlt. Seine drakonischen Bestrafungen sind berüchtigt. Hastig ging Hyazinth das Register seiner Schandtaten durch. Ein
paarmal hatte er geschwänzt, um in der Bibliothek in alten Schriften zu wühlen.
Meist hatte ihn Tagetes dazu überredet. Aber Opal zeigte sich jedesmal sehr
gnädig und hat ihm sogar augenzwinkernd anvertraut, daß er es früher ähnlich gehalten
hätte. Das konnte es nicht sein. Ob es an seinen, mitunter sehr eigenwilligen
Interpretationen der Lehrsätze lag? Immerhin hatte Opal mehr als einmal die
Stirn gerunzelt und ihn zu persönlichen Unterredungen gebeten. Nein, Opal würde
ihn nie anschwärzen. Aber Quarz, der Lehrer für Übergeordnete Logik! Natürlich!
Der Streit mit Quarz mußte es sein. Es ging um eine Bagatelle, aber Hyazinth
hatte mit dem Meisterwort geantwortet: In seiner Weisheit können andere ihm
wohl gleichkommen. In seiner Torheit ist er unerreichbar.
Quarz war kreidebleich geworden
und hatte nichts weiter gewußt, als alle zwölf Generalgebote in das Auditorium
zu krähen. Hyazinth ist dafür vom Masterteacher ordentlich gerüffelt worden und
gestand reumütig ein, mit dieser Antwort ein seltenes Maß an Überheblichkeit
erreicht zu haben. Der Lehrer für Übergeordnete Logik gab sich mit der
Entschuldigung nicht zufrieden und versuchte, in jeder Stunde seinen
Widersacher mit den geschicktesten Fangfragen aufs Glatteis zu führen. Erst als
sich gerade deswegen Hyazinths gute Noten häuften, gab Quarz auf. Sollte das
nun die späte Rache sein?
“Nun?” fragte Opal etwas
spöttisch. “Gibt es noch eine Sünde, für die ich noch keine Absolution erteilt
habe?” Dann aber packte er Hyazinth am Kragen und zog ihn an sich heran, legte
ihm väterlich den Arm um die Schultern und trat mit ihm an die große
Panoramascheibe seines Zimmers.
Hyazinths Knie wurden weich. Er
weiß wirklich alles! ging es ihm durch den Kopf. Vor Opal bin ich durchsichtig
wie Glas. Aber die Worte des Masterteachers beruhigten ihn sofort.
“Schau dort hinaus”, sagte Opal
seltsam unruhig. “Sieh dir diesen komplizierten Mechanismus gut an, bevor du
meine Frage beantwortest. Überlege sorgfältig, was es bedeutet, einer der
Führer dieses gigantischen Apparates zu sein, der über Wohl und Wehe einer
ganzen Welt entscheidet. Und wenn der Erste Exarch dich fragt, ob du bereit
bist, das letzte Opfer zu bringen, wenn er Hyazinth Blume aufruft, sein
Bekenntnis abzulegen –”
Hier hielt Hyazinth es nicht mehr
aus. Ungestüm platzte er mit der Frage heraus: “Der Exarch erinnert sich an
meinen Namen? Er will mich nicht für eine Verfehlung bestrafen, und trotzdem
kennt er meinen Namen?”
Opals Finger krallten sich in
seinem Oberarm fest, beinahe drohend fragte der Masterteacher: “Was bedeutet es
dir, daß Korund Stein deinen Namen kennt?”
Hyazinth überlegte fieberhaft.
Das war eine sehr schwere Frage, was sollte er antworten? Deutlich spürte er,
daß Opal Stein mit einer befremdlichen Ungeduld seine Entgegnung erwartete.
Selbstverständlich wäre es ein gutes Omen, wenn der Exarch sich an ihn erinnern
würde, ohne daß ungünstige Befunde aus seiner Vergangenheit die Ursache wären.
Aber dürfte er das zugeben, ohne sich dem Verdacht der Eitelkeit auszusetzen?
Wenn er jedoch sagte, es bedeutete
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