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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Geburt
eines neuen Menschen, aber eben nur fast, denn der Wirkstoff des Pilzgeflechts
verlangsamt das Wachstum der speckigen Schuppen nur, statt sie so abzuheilen
wie der Fadenschaum. Aber Fadenschaum zerfließt unter der Helle des Tages zu
klebrigem Schleim. Ein weiterer Nachteil des Trikot ist der ungeheure
Energiebedarf der Mykorrhizapflänzchen.
    Beim gemeinsamen Morgenmahl in
der Märtyrerschule sitzt Hyazinth immer als erster am Tisch und geht als
letzter, sich schnell noch einen großen Bissen in den Mund schiebend. Auch
jetzt knurrt ihm schon wieder der Magen. Aber heute früh war es so schlimm wie
lange nicht. Er fraß alles in sich hinein, was sich in seiner Reichweite
befand, ohne auf die mißbilligenden Blicke des Masterteachers zu achten, und
trotzdem war er nicht satt, als die Tafel aufgehoben wurde. Dabei ist der
Nährstoffgehalt der Grundsubstanz, aus der fast alle Speisen bereitet werden,
sehr hoch. Es handelt sich um Fusarium gramimarum, einen Pilz, dessen Eiweiß
durch irgendwelche Manipulationen gezielt verändert wird. Alles was Hyazinth
heute gegessen hat, wird aus Fusarium   hergestellt: Huhn- und Schinkenpasteten, Schokoladenkekse und ein
köstliches Rehsteak.
    Nach der Vorführung des Berichtes
aus Driftonas befahl Opal ihn zu sich. Hyazinth ließ sich von der fauchenden
Luft im Schwebschacht bis in das oberste, hoch über den Wolken liegende
Stockwerk tragen, mit weit von sich gespreizten Armen und Beinen. Kurz vor dem
Ziel zog er die Beine an und ruderte korrigierend mit den Händen. Es wurde eine
blitzsaubere Landung – beinahe, denn hinter ihm schoß ein Schüler der unteren
Jahrgänge aus dem Schacht und stieß ihm den Kopf in den Rücken. Hyazinth drehte
sich lässig um und sagte: “Frohe Umkehr, mein Freund!” Dann ging er, ohne den
Entschuldigungen stotternden Knirps weiter zu beachten.
    Das Zimmer des Masterteachers ist
schmucklos, beinahe liederlich eingerichtet. In geschmacklosen Metallgerüsten
an der Wand stehen hunderte uralter Folianten, obwohl deren Inhalt in einem
einzigen Speicherkristall Platz finden würde. Einige der Holztafeln mit
seltsamen Schriftzeichen, die irgendwie an Kinderzeichnungen von Häusern,
Menschen und Tieren erinnern, sollen tausende von Jahren alt sein. Es heißt,
der Meister selbst habe sie beschrieben, aber so recht kann Hyazinth das nicht
glauben, denn wäre es so, gehörte dieser unermeßliche Schatz doch in die Hände
des Ersten Exarchen.
    Bisher wagte er noch nicht, Opal
danach zu fragen.
    Opal saß hinter einem
mondsichelförmigen Terminal, von der Decke flimmerte das durch braungetöntes
Glas gedämpfte Licht der steigenden Sonne und gab allem in diesem Zimmer einen
warmen Bronzeton.
    Opal mußte den Blick seines
Lieblingsschülers bemerkt haben.
    “Du fragst dich, warum sie hier
bei mir stehen”, stellte er trocken fest. Seine tiefe Stimme klingt immer wie
unterirdisches Donnergrollen. Dann erhob er sich und kam um das Terminal herum.
    Allein Opals Körpergröße macht
ihn zur imposanten Erscheinung. Sein kräftiger Oberkörper verleiht ihm die
Figur eines vorzeitlichen Heroen, und auf den ersten Blick würde man wohl eher
einen altgedienten Protektor in ihm vermuten als den obersten Lehrer der
Demokratischen Terranischen Einheitsassoziation. Auch die fleischigen Pranken
begünstigen den Irrtum, seine körperliche Kraft sei der seines Geistes weit
überlegen. Der massige Schädel thront auf einem Hals, der nur aus
Muskelsträngen zu bestehen scheint, die bei jeder Kopfbewegung stark
hervortreten. Das eigenartigste in seinem Gesicht sind zweifellos die
kohlrabenschwarzen Augen. Immer hat Hyazinth das Gefühl, der Blick dieses
Mannes durchbohre ihn, ganz gleich, wohin Opal Stein schaut. Sobald Hyazinth in
den Blickwinkel des Masterteachers gerät, spürt er die unheimliche Macht dieser
Augen. Sogar wenn er neben Opal steht und dieser sich mit einem gegenüber
postierten Gesprächspartner unterhält – unausgesetzt fühlt Hyazinth den Blick
dieser pechschwarzen Augen, auch aus dem unsinnigsten Winkel. Und tatsächlich
deutet alles darauf hin, daß Opal nichts von dem entgeht, was um ihn herum
geschieht.
    Der Masterteacher trat an das Bücherregal
heran, nahm eine der Schrifttafeln.
    Dann strich er mit einer
eigenartig weichen, fast zärtlichen Geste das lange, weiße Haar aus dem Gesicht
und warf es mit energischem Schwung über die Schultern. Genauso, wie es in
feinen Strähnen über den Rücken des Masterteachers rieselte, so hat

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