Copyworld: Roman (German Edition)
die Spitze der Spange hinein und drückt. Nichts
geschieht. Als er aber versucht, die Nut hin und her zu schieben, knackt es
vernehmlich.
“Du bist genauso verrückt wie
Holunder”, flüstert Rutila, läßt aber widerstandslos geschehen, daß er auch
ihren Wächter abschaltet. “Was ist denn schon dabei?” fragt er unbekümmert.
“Die müssen ja nicht alles hören, nicht
wahr?”
Dann legt er sich wieder neben
sie. Einige Minuten vergehen in scheuem Schweigen. Schließlich fragt Rutila mit
erzwungener Ruhe: “Woran liegt es, sag es mir! Kann ich dir helfen?”
Hyazinth lacht kurz und hart auf,
aber als Rutila zurückzuckt, legt er einen Arm um sie und preßt seinen Kopf
gegen ihre Brust. “Ich weiß nicht”, sagt er dumpf. “Heute war alles anders. Als
ich dich gesehen habe, war mir eine Weile, als müßte ich dich umbringen…”
Deutlich spürt er ihren
beschleunigten Atem, und dicht an seinem Ohr hämmert ihr Herz in ängstlichen
Schlägen.
“… Aber es war wohl mehr die
Wahrheit, die mir in diesem Augenblick bewußt wurde, und die mich zornig
machte.”
“Was ist schon Wahrheit?”
antwortet Rutila sanft. Hyazinth läßt sich nicht beirren.
“Ich glaube, ich habe Jade nie
richtig geliebt. Ich wollte sie, ihren Körper. Ich war süchtig, aber irgendwie
war sie es auch. Wir haben zum Schluß kaum noch miteinander gesprochen. Sie
kam, wir taten es, sie ging. Punkt.”
Rutilas Herz schlägt immer
heftiger. Es ist ein merkwürdig aufregendes Geräusch, und Hyazinth wird auf
einmal bewußt, daß er das erste Mal in seinem Leben den Herzschlag eines
anderen Menschen hört.
Sie beginnt, seinen Hals zu
streicheln wie sie es schon am Morgen tat, als er sich den Handrücken blutig
kratzte. Dicht unter dem Haaransatz. Als er ein wenig den Kopf dreht, zuckt sie
erst ängstlich zurück, dann streichen ihre Fingerspitzen wieder kaum spürbar über
seine Haut.
“Du bist ehrlich”, flüstert sie,
“selbst wenn du es wolltest, könntest du niemanden täuschen. Du umgibst dich
nicht mit Mauern aus Schein und Trug, jeder der dich sieht, kennt dich gleich.
Was andere schwächen würde, macht dich stark. Ich liebe deine Stärke…”
Ihre Finger gleiten bebend über
seinen Rücken. “Nur einen Menschen belügst du fortwährend, einen einzigen:
dich!”
Hyazinth hebt den Kopf und sucht
ihren Blick. Es sind wieder Tränen in ihren Augen. Nun ist er fast sicher:
Rutila muß ihn schon sehr lange lieben. Er fragt sich nicht, weshalb. Solche
Fragen sind Unfug. Sie liebt ihn eben, und wie ihm scheint, mit einer ihm
völlig fremden Leidenschaft. Wäre sie sonst zu ihm gekommen?
Er rutscht ein Stück nach oben,
so daß sein Gesicht dicht über ihrem ist. Wie gebannt schaut er auf ihren Mund.
Die volle Oberlippe glänzt feucht und schwer, und die Haut darüber scheint ihm
wie Samt. Winzige Härchen, die bei vollem Tageslicht nicht auffallen, ein
zarter Flaum – erneut ist ihm, als entdecke er Dinge, von deren Existenz Jades
schöne, kalte Züge nichts ahnen ließen. Hat er überhaupt jemals Jades Mund so
deutlich vor sich gehabt? Ihr Körper schien ihm immer so vollendet wie eine der
Marmorfiguren in der Skulpturenallee, glatt und eben.
“Heute ist alles anders”, sagt er
verwirrt. “Erst habe ich dich gehaßt, und dann ist es über mich gekommen. Ich…
ich weiß selbst nicht…”
Rutilas Herz pocht so stark, daß
er den Pulsschlag an ihren Schläfen sehen kann. Ihre Lippen beginnen kaum
merklich zu zittern. Dieses Beben überträgt sich ebenso unmerklich auf ihn.
Immer noch starrt er auf Rutilas
feuchten Mund, der nun die leise Ahnung von einem Lächeln trägt. Gerade will er
seine Lippen auf diese glänzende Oval pressen, sich festsaugen, da zieht Rutila
die Arme an und stößt ihn energisch von sich. Noch ehe aber Enttäuschung in ihm
aufsteigen kann, krümmt sich ihr Körper zusammen, und sie gleitet mit einer
schlangenhaften Bewegung ans Fußende.
Was nun geschieht, ist für ihn so
fremd, unheimlich und doch unsagbar schön, daß er vor Schreck erstarrt. Sein
Unterleib hat wohl viel eher begriffen, was Rutila vorhat, denn wie ein
Eruption schießt das Blut in seine demütige Schlaffheit und füllt sie mit einer
beinahe schmerzhaften Steife, als habe es nur auf diesen erlösenden Augenblick
gewartet. Er nimmt noch bewußt war, daß sich seine Hände in den Platinglanz
ihres Haares krallen, dann sieht er nur noch ihre feuchten Lippen vor sich,
obgleich er längst die Augen geschlossen hat. Ganz kurz
Weitere Kostenlose Bücher