Copyworld: Roman (German Edition)
bemerkt er mit tiefem Verständnis.
“Aus Erde ist alles geworden”,
hebt Gunder an, wieder mit jener tiefen, grollenden Stimme, die so recht den
Zeremonienmeister ausmacht, die aus irgendwelchen unergründlichen Räumen seines
massigen Leibes kommen muß und Derek jedesmal aufs neue verblüfft.
“Die Pflanzen ringen ihr die
Kraft des Lebens ab und würzen sie mit der Wärme des Sonnenscheins. So wird sie
Fleisch im Tier und löst sich aus der Schwere der Zeit, galoppiert über die
Ebenen und schwimmt durch die Meere, fliegt durch die Lüfte und wird im
Menschen zum Schaffen. Laßt uns Ealthea danken für diesen Hirsch und… ach was,
eßt ihr Menschen, was eure Bäuche fassen!” Dann poltert der Alkaldenstab zu
Boden, Gunder hastet zu seinem Platz an der Tafel, und das Mahl beginnt mit
tosendem Gelächter.
“Viel Ehrfurcht vor den Göttern
Eures Volkes spricht nicht aus diesem Ritual!” sagt Damma mißbilligend, aber
bevor Derek antworten kann, entgegnet Andorgas: ”Wie kann man Götter
besser ehren, als zu nehmen, was sie einem geben, liebe Nichte?” Darauf reckt
er seinen Arm über die Tafel und läßt sich vom Koch einen riesigen Batzen
Fleisch auf den Dolch spießen.
Fröhliches Geschnatter, Schmatzen
und Rülpsen setzt ein. Mit leichtem Unbehagen denkt Derek: Prinzessin Damma ist
gewiß vornehmere Tischsitten gewohnt. Aber der Hunger zerstreut alle Bedenken,
und er packt das Fleisch mit beiden Händen und kräftigem Biß.
“Bei Euch vergällt man sich nicht
den Genuß durch Zwang, wo fehl am Platz er wäre”, grunzt Andorgas mit vollem
Munde. “Dies Volk gefällt mir, lieber Derek!”
“Seht Ihr denn Sinn darin, Euch
den Genuß zu trüben?” fragt Derek und verschluckt sich fast.
“Stolz fragt nach Sitte, nicht
nach Sinn”, erwidert Damma spitz und schiebt sich mit vollendeter Eleganz ein
Krümelchen in den Mund.
Derek legt seinen Dolch zur Seite
und beugt sich vor. Einen Augenblick wallte Zorn in ihm auf, aber er zwingt
sich zur Ruhe und sagt sich: Andorgas hat recht, sie ist noch ein Kind. Ein
Kind, dessen Spielzeug Halsabschneider und Hackschwerter sind. Laut aber sagt
er: “Mein Stolz – das ist das Glück meines Volkes, Prinzessin! Und dieser Stolz
hat Sinn und Sitte.”
Auch Damma beugt sich über die
Tafel, Derek entgegen, und ihre roten Augen leuchten in einem wilden Feuer.
“Was Ihr Stolz nennt, bezeichne
ich als Ehre. Stolz ist leere Eitelkeit - doch meine Ehre, das ist die Freiheit
meines Volkes, Großherr Derek!” antwortet sie leise. “Mein Ehre, das sind meine
Träume. Verzeiht mir, wenn ich Euch kränkte, ich muß erst lernen, Glück zu
finden, denn bisher gab es das in meinem Leben nicht.”
Ohne sich dessen gewahr zu sein,
greift Derek nach ihrer Hand. Damma zuckt erschreckt zurück, aber es bleibt bei
dieser winzigen Bewegung. Dann hält sie still, und Derek spürt ein leises
Zittern, das wie Feuer in ihn fährt. Das ist die Hitze, die mir bisher Andel
nur zu geben vermochte! durchzuckt es ihn, und ein verwirrendes Rauschen tönt
durch seine Gedanken. Schnell lehnt er sich zurück und umklammert seinen
Becher.
Ihm entgeht nicht der kurze, aber
durchdringende Blick, mit dem Andorgas ihn mustert.
Plötzlich einsetzendes Schweigen
bringt ihn wieder zu sich. Gunder springt hastig auf und greift seinen
Alkaldenstab. Alle blicken zur großen Flügeltür.
Aja steht dort. Ihr
fadenscheiniges Gewand wallt wie Spinnweben um den dürren Körper, aber ihr
Gesicht leuchtet in tiefer Freude. Nun springt auch Derek auf. Seit Curdins Tod
hat die Urahne den Thronsaal nicht mehr betreten!
In ihren Armen zappelt ein
flauschiges Bündel und zirpt wohlig. Als Gunder den Stab hebt, um ihn donnernd
auf den Hallenboden krachen zu lassen, wehrt sie schnell ab.
“Erschrick es nicht, Gunder! Es
ist noch so klein und hilflos”
Verwundert hält der Hofalkalde
inne.
Hellgraues Gefieder sieht Derek,
und einen winzigen Menschenkopf, in dessen Mund blaßrosa Reißzähne schimmern
wie kleine Nadelspitzen. Ein seltsames Gefühl durchrieselt ihn. “Es ist ein
kleines Weibchen”, sagt Aja und reicht ihm das zusammengerollte Tier. “Nimm es
und gib ihm einen Namen.”
Derek zögert. Bei Ealtheas
Pendel! Ist es wirklich der Wille der Urmutter, daß Mensch und Holl
zusammenleben?
“Er hat sich in den Abgrund
gestürzt, weil er die Zukunft sah!” drängt Aja. “Nimm es! Der Holl hat gesehen,
daß du sein Kind lieben wirst, als wäre es dein eigenes.”
Ihre Worte hallen durch
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