Copyworld: Roman (German Edition)
die
atemlose Stille.
Widerstrebend greift er zu, doch
als er das warme, weiche Wesen in seinen Armen spürt, durchströmt ihn ein
Gefühl, wie es nur aus dem Herzen der Urmutter selbst kommen kann. Der kleine
Holl drängt sich schutzsuchend an ihn und girrt ängstlich.
“Gib ihm einen Namen, es hat ein
Recht darauf!” fordert Aja ungeduldig.
“Ich weiß nicht…” Derek
streichelt unbeholfen das Holljunge.
Die Stille ist so tief als sei
Ealtheas Pendel stehengeblieben. Nur die ängstlichen und verschreckten Blicke
seiner Tafelgäste füllen sie aus wie Irrlichter.
Aber da dringt ein sanftes Beben
und Schwingen durch die Mauern des Palastes, läßt die gläsernen Pokale auf der
Tafel klingeln und klirrt in den Metallplättchen auf Dammas Ghamellan, wie wenn
unsichtbare Finger darüber hinweg führen.
Es ist, als wälze sich ein
schlafender Riese tief im Innersten der Erde auf seinem Lager, und ein
erschreckter Ruf flattert wie ein Vogel durch den Thronsaal: “Der Berg Attanai...der
Feuerberg spricht...der Attanai!”
Dumpf röhrt der Berg, aber es ist
kein drohendes Grollen, sondern eher wie eine gutmütige Mahnung. Und da geht
Derek ein Licht auf, er versteht die Botschaft.
“Atta soll es heißen ”, flüstert
er. “Atta…”
Wie zum Einverständnis läßt der
Berg Attanai noch einmal den Palast erbeben – dann ist es wieder totenstill.
Aller Blicke sind auf das hellgraue Federknäuel gerichtet, die Gesichter in
furchtsamem Schweigen erstarrt.
Leise stimmt Aja das Hohelied der
Urmutter an. Ihre Stimme klingt wie
gesprungenes Glas. Sie hält Dereks Oberarm fest umklammert und holt keuchend
Luft zwischen den Strophen. Schüchtern mischen sich andere Stimmen in den
Gesang. Er wächst zu einem sprudelnden Quell, verbreitert sich zu einem Bächlein und schwillt
schließlich zu einem majestätisch fließenden Strom, als die Tafelrunde das Lied
aufnimmt.
Geschwind steckt Damma sich
wieder die Metallhülsen auf die Finger, mit einem ungläubigen Staunen in den
Augen und einem versonnenen, beinahe schmerzlichen Lächeln in den Mundwinkeln –
dann perlen die harten, metallischen Töne des Ghamellans in den feierlichen
Gesang, umschwirren ihn wie Falken einen Festungsturm, schwingen sich hoch über
ihn hinaus.
Derek sieht, wie Andorgas eine
abwehrende Handbewegung macht und ihr erregt etwas zuraunt, aber Damma faucht
ihn nur böse an, und Derek versteht sogar die Worte.
“Mein Spiel heiligt jeden Gesang,
preist jeden Gott!”
Die klirrenden Klänge springen
wie Fische durch den in gemächlichen Wogen dahingleitenden Strom der Hymne, das
Ghamellan verleiht dem gemessenen Gang der einfachen Melodie einen strahlenden
Schein.
“… was ist des Menschen Trachten
Lohn?
dem Vater ist’s sein Bild im
Sohn,
dem Herren das Gebet der Knechte,
dem Weisen Wort göttlicher
Mächte.
Was ist der Menschen Leben Preis?
Des Werdens und Vergehens Kreis
ewig Gefangener zu sein,
bis daß verlischt der
Lebensfackel Schein…”
Düster schwingt der Gesang durch
den Palast wie der bronzene Klang einer gewaltigen Glocke, eingehüllt von den
zierlichen Trillern des Ghamellans. Und als die letzte Strophe des
Ealthealiedes im tiefen Baß der Männerstimmen verhallt, steigt noch einmal ein
einsamer, aber kräftiger Sopran von eigenartig rauher Färbung voller Trotz über
das elegische Tönen hinaus:
“… der Mensch sich selbst sein
Wirken lohnt,
die Welt und sich stets neu
erschafft –
ein Gott in jedem von uns wohnt,
so stark wie unsre
Menschenkraft!”
Andorgas blickt Damma entsetzt
an. Unwillkürlich schaut Derek auf Aja und sieht gerade noch, wie die Urahne
leise zusammenzuckt, schwach die Hände hebt, als wolle sie sich eines sie
bedrängenden unsichtbaren Feindes erwehren.
Die ketzerischen Worte der Tharprinzessin
dringen wie tödlicher Frosthauch in seinen Schädel. Hätte sie Schmähungen
ausgestoßen, Ealthea beleidigt – das wäre halb so schlimm gewesen, denn es ist
Angelegenheit der Götter, Ungehorsam zu ahnden. Aber Damma sang von Dingen, die
ihm immer wieder die Sinne verwirren, sobald das ewige Suchen und Tasten seines
Verstandes sich ihnen nähert, sie berührt. Wie oft schon hat er sich gefragt,
ob es wirklich die Götter sind, die aus den Schicksalsfäden den bunten Teppich
der Schöpfung knüpfen, oder ob sie nicht nur handeln wie übermütige Kinder,
hier dem Menschen helfen, wenn sie gerade Lust danach verspüren, und ihm dort
schaden, wenn ihre Launen es gebieten, und ob sie
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