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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillou
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früh auf. Das war ihm noch nie passiert, seitdem er an Bord war. Im ersten Moment dachte er, ihm wäre übel geworden. Ein verdorbener Magen zum ungeeignetsten Zeitpunkt seines Lebens. Er stand auf und versuchte, sich in das kleine Waschbecken zu übergeben, aber es ging nicht. Er bespritzte sein Gesicht mit kaltem Wasser und setzte sich auf die unterste, noch unberührte Pritsche.
    Nichts als diese kleine Kajüte. Nur das Geräusch der Klimaanlage, das man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen musste, wenn man glaubte, es wäre vollkommen still. Nur er allein, Olwan. Oberleutnant Olwan, um es genau zu sagen. Ibra »The Wiz« war er nicht mehr. Und etwas anderes als Oberleutnant Olwan würde er in diesem Leben wahrscheinlich auch nicht mehr werden.
    Sein Heimatdorf hieß Qalqiliya – von Panzern angegriffen, die Häuser zerbombt, die Männer verschleppt; Steine werfende Jungen, manche erschossen, manchmal mit Gummikugeln mit Bleikern, manchmal mit Bleispitze. Meistens spielte das keine Rolle. Von dort kam die Familie Olwan.
    Sein Vater hatte den Familiennamen in Alwin ändern lassen, als der älteste Sohn in Cambridge angenommen worden war. Das war rührend und erniedrigend zugleich. Ein palästinensischer Flüchtling aus Qalqiliya hatte einen Sohn, der in Cambrid­ge ein Forschungsstipendium erhielt, und er bedankte sich, indem er seinen Namen in Alwin änderte. Damals konnte man sich so Freunde machen.
    Später schämte er sich für seinen neuen Namen. Nun hieß er wieder Olwan. Peter Feisal und Marwan hatten etwas mehr Glück gehabt, als ihr fürsorglicher Vater ihren allzu arabischen Familiennamen anglisierte. Husseini wurde zu Howard. Da ihr Vater sich damit brüstete, englischer als die Engländer zu sein, hatten ihn die Söhne in Anlehnung an einen feingliedrigen aristokratischen Schauspieler aus den Vierzigerjahren Leslie Howard genannt. Doch diese Albernheiten lagen hinter ihnen. Nun waren sie wieder Husseini und Olwan, Oberleutnants der palästinensischen Flotte.
    Er hatte ganz still dagesessen und versucht, auf andere Gedanken zu kommen. Es ging nicht. Ihm war immer noch schlecht, und seine Hände zitterten.
    Es war genau fünfzehn Uhr eins UTC. An Schlaf war nicht zu denken, nur noch zwei Stunden bis T.
    Während er in seine Uniformhose schlüpfte, wurde ihm klar, dass er wahnsinnige Angst hatte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. In weniger als zwei Stunden würde er in den Krieg ziehen. Es gab keinen Weg zurück. Wieder überkam ihn der zwanghafte Gedanke an den Fahrstuhl. Immer, wenn er Lift fuhr, musste er daran denken, dass das Leben eine Fahrstuhlfahrt war, auf die man keinen Einfluss hatte. Ohnmächtig verfolgte man die Nummern der Stockwerke und konnte sich ausrechnen, wann man ein Drittel oder die Hälfte der Strecke hinter sich hatte. Bald würde der Aufzug stehen bleiben. Die Gefühle und Ängste der Passagiere spielten überhaupt keine Rolle.
    Die Computerspiele für die Übungsmanöver, mit denen man Devonport in England angreifen oder die USS Alabama versenken konnte, hatte er entwickelt. Zumindest hatte er einen Großteil der Arbeit erledigt. Die Mathematik und die Grundlagen des Programmierens waren immer gleich. Genau wie bei den Spielen, die er sich für blutrünstige Jugendliche in London ausgedacht und mit denen er unverschämt viel Geld verdient hatte. Bis jetzt war alles wie ein Spiel gewesen.
    Weder die minutiösen Planungssitzungen, die ständigen Übungen, das Studieren der Satellitenfotos des Hafens von Haifa, das doppelte und dreifache Überprüfen der Koordinaten noch der Abschuss echter Marschflugkörper in der Barentssee hatten ihm das Gefühl gegeben, dass seine Arbeit etwas mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
    Auf rationaler Ebene begriff er natürlich, womit er sich beschäftigte, aber Gefühle waren etwas ganz anderes. Sie kamen erst jetzt und äußerten sich in Übelkeit und kaltem Schweiß.
    Die längere Mole von Haifa maß zweitausendachthundertzweiundsechzig Meter, die kürzere war siebenhundertfünfund­sechzig Meter lang. Ihr erstes Ziel waren die Patriot-Raketen am äußersten Punkt und an der Innenseite des langen Wellenbrechers, wiederholte er im Geiste, als könne er damit seine Angst in Schach halten.
    Die Lenkflugkörper der U-1 Jerusalem würden zunächst auf hundertfünfzig Meter Höhe steigen, ihren Kurs stabilisieren und mit Mach 0,75 das Ziel ansteuern. Auf Stufe zwei würden sie mithilfe des Nachbrenners ihre Geschwindigkeit erhöhen und immer

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