Coq 11
in dieser Jahreszeit prächtigstes Nordlicht erstrahlen. Zu wissen und doch nicht zu wissen, solche Gedanken konnten einen vermutlich in den Wahnsinn treiben.
Nein, es lag auf der Hand, was er tun könnte. Er würde Dozent Iwan Firsow und seinen Doktoranden Boris Starschinow zu einer kleinen Zusammenkunft in sein Büro einladen.
Schließlich waren die beiden ebenfalls eingeweiht. Sie kannten zwar weder Ziel noch Zeitpunkt, doch sie hatten erheblichen Anteil am Projekt Pobjeda.
In seinem Büro würden sie eine einfache Mahlzeit zu sich nehmen, vielleicht gekochte Zunge mit Salzgurke und eiskaltem Wodka. Und um Punkt siebzehn Uhr UTC, neunzehn Uhr Ortszeit, würden sie CNN oder BBC World einschalten. Entweder die Sendung würde aufgrund einer Weltsensation unterbrochen werden, oder sie müssten eine halbe Stunde auf die nächste Nachrichtensendung warten.
Im Kühlschrank vor seinem Büro würde er Sekt und Kaviar verstecken. Er hatte keine Zweifel; die Frage war nur, ob sie schon nach einer halben oder erst nach einer ganzen Stunde einen Grund zum Feiern haben würden. Eine kostspielige Angelegenheit, aber der atemberaubendste Augenblick seines Lebens war die hundert Dollar sicher wert.
Ein halber Monatslohn, wenn man es genau bedachte. Sogar dieser Idiot von Steuermann unter Deck, der der Palästinenserin an die Brust gefasst hatte, verdiente am Projekt Pobjeda mehr als das Hundertfache und galt nun als Sicherheitsrisiko. Weil er unzufrieden war.
Ein witziger Gedanke übrigens. Er selbst, der mittellose russische Fregattenkapitän, war nun im Besitz des größten Geheimnisses der Welt. Außer Schiffbruch oder Sabotage konnte die K 601 nun nichts mehr aufhalten – höchstens Verrat.
Der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der diesen Verrat begehen konnte, war er selbst. Theoretisch natürlich auch Präsident Putin. Alle anderen, die Zeitpunkt und Ort kannten, befanden sich an Bord eines U-Boots, das erst lange Zeit nach dem Angriff wieder auftauchen würde.
Ein gefährlicher Gedanke: Wie viel war sein Wissen wert? Was kostete die israelische Flotte? Mindestens einige Milliarden Dollar und einen schwer zu schätzenden politischen Preis. Ihm blieb genügend Zeit, ein Geheimnis zu verkaufen, das mindestens eine halbe Milliarde Dollar wert war. Sein Monatsgehalt, für das er fünf Jahre lang rund um die Uhr gearbeitet hatte, betrug zweihundert Dollar. Kein Wunder, dass er unzufrieden war.
Wenn man seine Situation aus der Sicht des Raswedtschiks betrachtete, hätte man ihn aus Sicherheitsgründen sofort erschießen müssen.
Der Gedanke ging ihm nicht aus dem Kopf. Hätte Mouna, die an alles dachte, nicht auch darauf kommen müssen? Oder vertraute sie ihm blind? Das wäre zwar nobel von ihr, aber nicht sehr professionell.
Es war ja nicht so, dass er sein eigenes Projekt verraten hätte. Nie im Leben. Doch die Vorstellung hatte seinen Puls spürbar in die Höhe getrieben. Immerhin wich seine Melancholie nun einer aufgekratzten Verzweiflung. Zeit, sich einen Wodka zu genehmigen! Oder zwei.
Er hatte sich eine Stunde vor dem Essen in die Messe gesetzt, um in Ruhe durchzuatmen und auf das schwarze Meer hinauszustarren, auf dem sich nun vereinzelte weiße Wellenkämme zeigten. Offensichtlich würde es in der Nacht kräftigen Wind geben, wie so oft in der Biskaya. Auf einem so kleinen Schiff stand ihnen eine lustige Nacht bevor. Er fühlte sich an seine Grundausbildung auf einem Minenleger in der Barentssee erinnert. Scheißegal, das Essen hier konnte mit den Köstlichkeiten, die auf der K 601 serviert wurden, sowieso nicht mithalten.
Als er hinter sich ein Geräusch hörte, nahm er wie selbstverständlich an, einer der Küchenjungen habe die Messe betreten, um den üblichen Kohlpudding zu servieren.
»Bring mir sofort hundert Gramm, Junge!«, brüllte er, ohne sich umzudrehen.
Anstelle einer Antwort legte sich eine Hand auf seine Schulter. Als er sich umdrehte, sah er zu seiner Überraschung den Kapitän vor sich.
»Verzeihung, Fregattenkapitän!«, sagte der Kapitän leise.
»Ich werde gleich einen Schiffsjungen kommen lassen, aber …«
»Oh, ich bitte um Verzeihung!«, lachte Owjetschin. »Wir haben wahrscheinlich beide schon lange keine alten griesgrämigen Vorgesetzten bedienen müssen. Trinken Sie ein Glas mit mir?«
»Nein danke, nicht jetzt, Fregattenkapitän«, antwortete der Kapitän peinlich berührt. »Ich habe nämlich einen strikten Befehl vom Vizeadmiral des Stabs in Seweromorsk, also dem
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