Coq 11
Befehlskette über oder unter ihr standen. Mouna meinte, sie könne mit Männern, besonders mit arabischen, besser umgehen als mit Frauen. Außerdem würde den vier Russinnen ein Essen mit dem Admiral höchstpersönlich wahrscheinlich sehr schmeicheln. Doch dieses Argument wendete Carl gegen sie. Eine Frau sei immer eine Frau, egal ob sie einen großen Stern an der Schulterklappe habe oder nicht. Ein weiblicher Ansprechpartner sei einfach geeigneter, besonders wenn es um sexuelle Belästigung gehe.
Hier musste Mouna ihm Recht geben. Nun saß sie in der Offiziersmesse und wartete auf Irina Issajewa, ihre letzte Gesprächspartnerin.
Als Erstes fiel Mouna auf, dass Irina sich nicht mehr schminkte. Zu Beginn waren die vier mit grünem oder lila Lidschatten zum Unterricht erschienen, als wären sie auf dem Weg in eine Bar. Aufgrund der Enge des U-Boots – und des Mangels an Spiegeln und guter Beleuchtung – hatte sich ihr Ehrgeiz, perfekt auszusehen, nach einigen Wochen erheblich verringert. Sie war schlank und hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was ausgezeichnet zu der Marineuniform passte – Carl hatte die Lehrerinnen zu Bootsmännern gemacht. Die Begründung war Mouna entfallen, es hatte irgendetwas damit zu tun, dass sie höher als die Mannschaft und niedriger als die schwierigen Offiziere stehen sollten.
Zu Beginn unterhielten sie sich über rein didaktische Probleme. Unter anderem sei das Vokabular selbst für die russischen Muttersprachler nicht einfach. Dann stellten sie erleichtert fest, dass sie den gleichen Tagesrhythmus hatten und es insofern nun für beide Zeit zum Abendessen war. Sie bestellten Lammkoteletts à la Provençale mit gereinigtem Meerwasser, das die palästinensischen Köchinnen Château d’Atlantique nannten. Dann brachte Mouna die schlimmste Frage zur Sprache.
»In Ihren Papieren steht, dass Sie einunddreißig Jahre alt und unverheiratet sind, Irina. Ich dachte immer, in Russland würde man jung heiraten. Warum Sie nicht? Sie sind begabt und schön.«
Irina machte ein Gesicht, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen.
»Ich war verlobt«, sagte sie leise. »Mein Verlobter war Oberleutnant auf der Kursk.«
Nun guckte Mouna, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen.
»Ich bitte um Verzeihung …, entschuldigen Sie bitte, Irina. So wollte ich unser Gespräch eigentlich nicht beginnen.«
»Keine Sorge, Brigadegeneral! Ich gewöhne mich allmählich daran, auch wenn es nicht leicht ist.«
»Natürlich. Aber nun lassen wir die Titel weg, ich bin Mouna und Sie sind Irina. Wie traurig … Sie wollten heiraten?«
»Ja, aber die Besatzung wurde in letzter Minute ausgewechselt. Kommandant Petrow wollte mit seiner Frau dreißigsten Hochzeitstag feiern. Mein Jewgenij musste kurzfristig einrücken, und unsere Hochzeit wurde verschoben. Angeblich nichts Besonderes, nur eine kleine Torpedo-Übung. Aber die Kursk ist nie zurückgekehrt.«
Das Essen schmeckte nicht so gut wie sonst und war kalt geworden. Mouna spürte, dass dieses Gespräch sich lange nicht erholen würde. Sie hatte sich benommen wie ein Elefant im Porzellanladen. Einige Fragen musste sie trotzdem stellen, denn plötzlich war ein unerwartetes Sicherheitsproblem aufgetreten.
Sie setzte wieder ihre Maske auf und fragte feinfühlig, ob Irina Kommandant Petrow gegenüber irgendeinen Groll hege, schließlich sei der für die kurzfristige Auswechslung der Kursk-Besatzung verantwortlich gewesen. Die geringste Andeutung, und sie wäre für den Rest der Fahrt ihrer Freiheit beraubt worden.
Es zeigte sich jedoch, dass Irina an Gott glaubte. Das Unglück der Kursk sei für alle Angehörigen der Besatzung an Bord ein entsetzlich trauriges Ereignis, aber auf der anderen Seite sei ihnen das schlechte Gewissen derjenigen erspart geblieben, die dem Unglück aufgrund eines scheinbar nebensächlichen Hochzeitstags nicht zum Opfer gefallen seien. Niemand außer Gott habe es vorher wissen können. Und dessen Wege seien immer unergründlich.
Immer dieser verfluchte Gott, dachte Mouna. Die Juden sind verrückt, die Christen sind verrückt, ganz zu schweigen von einigen meiner eigenen Leute, die zu allem Überfluss auch noch die Wahl gewonnen haben. Gott wollte also, dass die Kursk unterging, während sich Irinas Verlobter, Oberleutnant Jewgenij, an Bord befand, und sie senkt in demütigem Gebet den Kopf? Wahnsinn. Und dieser Wahnsinn zerriss Palästina täglich mehr, während die Mauer immer höher wurde. Wenn es
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