Coq 11
hätte er auch perfekt in die Royal Navy gepasst, zumindest was sein Benehmen, seine Ausdrucksweise und sein Auftreten betraf. Laut Abu Ghassan wurde diese Überlegung der Wahrheit jedoch nicht gerecht. Der Royal Navy wäre es nie gelungen, diese drei Oberleutnants anzuwerben, mit oder ohne Imam.
Mit der Zeit hatte Abu Ghassan seine seelsorgerische Funktion an Bord immer mehr infrage gestellt. Er wusste, was auf der ersten Übungsfahrt der K 601 Schreckliches passiert war. Man konnte leicht nachvollziehen, dass intelligente Menschen wie Peter Feisal und Mouna aus diesen entsetzlichen Ereignissen den Schluss gezogen hatten, demonstrative religiöse Gleichberechtigung an Bord wäre eine Notwendigkeit. Und plötzlich war Abu Ghassan auf geheimnisvolle Weise aus Großbritannien ausgewiesen und zurück nach Kairo geschickt worden, wo er angeblich ein neues Visum beantragen müsse. Wahrscheinlich hatte Mouna hinter diesem Beschluss gesteckt und den MI5 wohl in vielerlei Hinsicht um den kleinen Finger gewickelt. In Kairo war sie zufällig genau zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht und hatte ihm einen neuen Auftrag innerhalb des Nachrichtendienstes erteilt, den er nicht hatte ablehnen können. Sie war bewundernswert geschickt im Manipulieren von Menschen.
Er bezweifelte jedoch, dass seine Anwesenheit wirklich noch nötig war, wenn der Krieg erst einmal begann. Kein Palästinenser an Bord würde dann noch Trost brauchen; diejenigen, die das U-Boot vor der letzten Fahrt verlassen mussten, weil sie in der einen oder anderen Hinsicht kein Maß gehalten hatten, hingegen schon. Er hatte sich an Bord bereits nützlich gemacht, indem er in einem bestimmten Abschnitt putzte und in der Wäscherei mithalf. Diese Art von Aufgaben konnte ein Imam besser ausführen als ein Kampftaucher, ohne die Selbstachtung und den Respekt der anderen zu verlieren. Außerdem wollte er Mouna vorschlagen, ihm eine andere Funktion als die eines falschen Imams, oder wie man seinen Job nun beschreiben sollte, zu übertragen. Sie benötigte beispielsweise einen Leibwächter und einen Assistenten, wenn sie sich mit dem Versorgungsboot auf den Weg machte. Darüber musste er dringend mit ihr reden.
Die Ereignisse des Tages machten sein neues Problem deutlich. Mitten im Mittagsgebet, als er rezitierend vor den vier Betenden stand, die nach Mekka gewandt dalagen, was nie ein Problem war, da man auf den Bildschirmen überall die genaue Position der K 601 erkennen konnte, kam das Alarmsignal: klar Schiff!
Blitzschnell erhoben sich die vier Gläubigen und rasten ohne ein Wort davon. Er blieb allein in der Kapelle zurück, die ja seltsamerweise seine Gefechtsstation war. Dieses Erlebnis passte zu seinen Überlegungen: Die K 601 war größer als Gott.
Nun saß er dort ohne Bildschirm und spürte, wie sich das U-Boot heftig neigte, während die Motoren verstummten. Offenbar tauchten sie steil ab, ein Koran rutschte über den Boden und landete direkt vor seinen Füßen.
Beten konnte er ohne Publikum nicht. Er musste im Halbdunkel warten, bis die Gefahr vorüber war und er hinausgehen und sich erkundigen konnte, was passiert war. Er wusste nur, dass sie die Shetlandinseln passiert hatten und nun vor Irlands Westküste lagen. Dass sie direkt, und zwar mit Absicht, in ein britisches Kriegsmanöver hineingesegelt waren, ahnte er nicht.
Vier Stunden später, als sie wieder zur normalen Bereitschaft übergegangen waren, traf er beim Abendessen Ibrahim, der den ganzen Ablauf von der Kommandozentrale aus verfolgt hatte. Sie waren einem britischen Jagd-U-Boot, das um einiges größer war als sie, der HMS Trenchant aus der Trafalgar-Klasse, gefährlich nahe gekommen. Die Übung bestand darin, so lange wie möglich auf direktem Kollisionskurs zu bleiben, um zu sehen, wann die Briten sie entdeckten. Sie waren aber so nahe gekommen, dass auf beiden U-Booten die Kollisionsindikatoren Alarm geschlagen hatten, bevor sie ausgewichen waren. Den Briten an Bord der HMS Trenchant mussten die Haare zu Berge gestanden haben, weil ihre Übungsleiter sie einer so überraschenden und nicht ganz ungefährlichen Prüfung unterzogen hatten.
Nun spielten sie Katz und Maus. Die Briten kapierten schnell, dass ihnen ein fremdes U-Boot in die Quere gekommen war, und Kommandant Petrow machte keine Anstalten, diesen Verdacht zu zerstreuen. Im Gegenteil.
Nachdem sie zwei Zerstörer identifiziert hatten, die geschickt worden waren, um sie aufzuspüren, stieg die K 601 auf Periskoptiefe, zeigte
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