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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillou
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sie sich lieber darüber aus, wie man ihrer jeweiligen Erfahrung nach ein tröstendes Wort gegen die Todesangst formulieren konnte.
    Die umfassenden und komplizierten Regeln rings um den Dschihad waren Abu Ghassan immer entgegengekommen. Auf der K 601 konnte nicht mitten in einer Übung oder einem simulierten Angriff der Gebetsruf ertönen. Schon zu Lebzeiten des Propheten, Friede sei mit ihm, hatten sich die Gläubigen in diesem Dilemma befunden. Im Krieg gab es unzählige Ausnahmen von den strengen Gebetsvorschriften. Wer gerade an einem Sonarschirm ein amerikanisches Atom-U-Boot verfolgte, brauchte sich laut Koran nicht auf die Knie zu werfen.
    Als Trostspender kam sich Abu Ghassan jedoch zunehmend überflüssig vor. Die Christen an Bord hatten tatsächlich mehr Angst vor dem Tod, aber wen wunderte das? Im Unterschied zu den Palästinensern machten sie ihren Job vor allem wegen des Geldes und ein bisschen aus Abenteuerlust. Außerdem hatten sie nur eine vage Vorstellung von dem, was ihnen bevorstand. Und an dem hohen Lohn konnten sie nur im Erdenleben ihre Freude haben.
    Für die Palästinenser stellte sich die Situation vollkommen anders dar. Die meisten schienen im Stillen davon überzeugt, dass der Tod ein Preis war, den es sich zu zahlen lohnte. In dieser Hinsicht waren sie alle Selbstmordattentäter. Allerdings hatten sie keinen Sprengstoff um die Taille, sondern saßen zu­sammen eingesperrt in der größten Sprengladung aller Zeiten. Im Übrigen hatten sie im Gegensatz zu Mohammed Atta und den anderen durchgeknallten Saudis, die mit ihren gekaperten Flugzeugen in die Twin Towers gerast waren, zumindest eine geringe Überlebenschance.
    Die meisten jungen Palästinenser, die Selbstmordattentate verübten, hatten eher persönliche als religiöse Gründe. Es waren Menschen wie Hassan Abu Bakr. Wären Selbstmordattentate bereits in Mode gewesen, als er jung war und seine gesamte Familie von den israelischen Splitterbomben in Stücke gerissen wurde, hätte er mit Sicherheit auch eins verübt.
    Wie viel besser war es auf der K 601. Sie war geradezu ein Segen. Abu Ghassan und dem Taucher Hassan Abu Bakr mangelte es nicht an Gesprächsstoff. Beide hatten in Guerillaverbänden Israel attackiert, der eine auf dem Land und der andere vom Wasser aus. Beide hatten sich damit ein gutes Jahrzehnt im Ramleh-Gefängnis eingehandelt, näher konnte man der Hölle auf Erden nicht kommen. Das hatte sie beide nicht zermürbt. Haft war ein Preis, den man zahlen musste. Ein hoher Preis, den man aber bewusst in Kauf nahm, wenn man als Fedajin sein Leben aufs Spiel setzte.
    Auf der K 601 war alles anders. Die K 601 repräsentierte das, was sie nicht gehabt hatten: die Technik des Feindes und die Strategie des Feindes, langsam und nach Plan einen übermächtigen Angriff vorzubereiten. Persönliche Tapferkeit oder Gott spielten dabei keine Rolle. Nur die Amerikaner und die Israelis bedienten sich beider Strategien: überwältigender Kraft in Kom­bination mit Gottes Willen, so wie die Kreuzritter bei ihren Angriffen einst Deus vult gebrüllt hatten.
    Angesichts der großen und unbezwingbaren Wirklichkeit, im Innern des gewaltigen Titanrumpfes, hatte Gott an Bedeutung verloren. Am stärksten war das den drei Gentlemen anzumerken, den Oberleutnants Peter Feisal, Marwan und Ibrahim. Deren Metamorphose war geradezu verblüffend. Elegante, lässig heitere, typisch englische Gentlemen in genau der Rolle, vor der sie panisch geflüchtet waren. Sie genossen offensichtlich ihre Uniformen, aber ebenso genossen sie die Anerkennung für die technischen Verbesserungen, die sie zustande gebracht hatten. Nicht Gott hatten sie gesucht, sondern die K 601.
    Abu Ghassan hatte mit Mouna darüber gesprochen. Es war zwar eher ein akademischer Gedanke, aber man musste sich schon fragen, ob es notwendig gewesen war, den Umweg über Gott zu nehmen, um die drei ins Boot zu holen. Mouna war genau dieser Auffassung und untermauerte sie mit überzeugenden Argumenten. Seitdem George W. Bush im September 2001 zum heiligen Krieg aufgerufen hatte, ging eine Welle der Rachsucht durch die palästinensische Diaspora. Man wollte sich seine menschliche Würde zurückerobern. Da sich niemand in seinen kühnsten Träumen die K 601 vorstellen konnte, suchte man stattdessen verzweifelt nach Gott. Peter Feisal hätte in seiner neuen Rolle als Gläubiger sogar etwas lächerlich gewirkt. Als Oberleutnant in der palästinensischen Flotte war er besser aufgehoben. Im Übrigen

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