Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillou
Vom Netzwerk:
wenigstens um Öl ginge!
    Das restliche Gespräch verlief zaghaft melancholisch, aber Mouna konnte sich nun immerhin ausmalen, wie Irina auf der K 601 gelandet war. Owjetschin hatte sie rekrutiert und mit Petrow gesprochen, der Irinas Hintergrund kannte. So musste es gewesen sein. Anatolij hatte Gott gespielt. Dachte er etwa, sie könne ihrem verstorbenen Verlobten auf dem Meeresgrund Gesellschaft leisten? Durchaus möglich, die Leute waren verrückt.
    Doch auch diesen Gedanken konnte man aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Vielleicht war die Idee ganz und gar nicht verrückt. Sollte Irina mit der gesamten Besatzung der K601 sterben, ein Risiko, über das sich jeder im Klaren sein musste, würde sie wenigstens keinen wahnsinnig trauernden Verlobten hinterlassen. Und wenn sie wider Erwarten überlebte, würde ein Jahresgehalt von sechzigtausend Dollar die Russin vielleicht ein wenig trösten. Abgesehen von dem, was ein zweifelhafter Gott möglicherweise für sie tun würde, konnte man ihr keine besseren Chancen für einen neuen Start bieten. Oder einen sinnvollen und schnellen Tod. Die Entscheidung war gefallen. Irina Issajewa würde als eine von zwei Sprachlehrerinnen mitkommen auf die Reise zum großen Ernstfall.
     
    Das »Gotteshaus« der K 601 war äußerst bescheiden. Im Grunde bestand es aus einem Lagerraum von zwei mal drei Metern, war einer normalen Gefängniszelle also nicht ganz unähnlich, hatte aber genau wie alle anderen Räume an Bord hellblaue Wände. Da sich der griechisch-orthodoxe Priester Josef Andjaparidze und der Imam Abu Ghassan die Kapelle teilten, hatte sie zwei Oberbefehlshaber. Je nachdem, welcher Gott Schicht hatte, wurde das Kreuz auf- oder abgehängt und durch zwei schwarze Tafeln mit Goldkalligrafien aus dem Koran ersetzt. Wenn zwischen den Manövern der beiden Gottesmänner Lücken entstanden, konnte der Raum auch für sportliche Ertüchtigungen genutzt werden. In der Ecke standen ein Heimtrainer und eine Gewichthebebank.
    Äußerlich hatten die beiden Seelsorger keine Ähnlichkeiten. Pater Josef war ein temperamentvoller Mann mit einem schwarzen Bart, der auf- und abwippte, wenn er sich über Unannehm­lichkeiten beschwerte – auf dem Atomkreuzer »Peter der Große« sei alles besser gewesen! – oder lautstark mit einem Sünder schimpfte. Abu Ghassan dagegen war ein zurückhaltender Mann, der nie die Stimme erhob und eine feine Ironie Pater Josefs derben und zuweilen schlüpfrigen Witzen vorzog.
    Aber sie kamen gut miteinander aus. Pater Josef war überzeugt, dass sie allen ökumenischen Bestrebungen in Russland um Längen voraus waren.
    Sie trugen eine ähnliche Uniform wie alle anderen an Bord, Pater Josef hatte jedoch statt der Mütze einen kleine schwarze Kopfbedeckung auf, die an einen Pillbox-Hut erinnerte, und Abu Ghassan einen Turban. An ihren Schulterklappen prangte statt der Dienstabzeichen ein griechisch-orthodoxes Kreuz beziehungsweise ein Halbmond in Silber.
    Die meisten praktischen Probleme lösten sie auf gemütliche Art. Sie einigten sich, die Uhr nicht nach der Moskauer Zeit zu stellen, sondern sich an Mekka zu orientieren. Auf diese Weise konnte man eine Stunde nach dem muslimischen Morgengebet eine christliche Frühmesse und nach dem muslimischen Abendgebet eine Vesper abhalten. Nach einigen komischen Zusam­menstößen beim Rein- und Rausgehen lief der sakrale Zeitplan reibungslos ab.
    Hin und wieder saßen sie nach dem muslimischen Mittagsgebet zusammen und sprachen über ihre Erfahrungen auf dem U-Boot. Keiner von beiden war überrascht, dass der Tod auch in der seelsorgerischen Arbeit des Kollegen das häufigste Problem darstellte. Das hatte nach Meinung von Pater Josef hauptsächlich mit dem niedrigen Durchschnittsalter der Besatzung zu tun. Die meisten seien junge Kerle, und witzigerweise machten sich die Menschen viel mehr Gedanken über den Tod, solange er noch weit entfernt sei. Abu Ghassan glaubte eher, es liege daran, dass man sich auf einem Kriegsschiff befinde. Was auch immer die Ursache sein mochte, die meisten theologischen Grübeleien an Bord kreisten um das Leben nach dem Tod.
    Aus christlichem Blickwinkel hatte man auf dem Weg ins Himmelreich Vorfahrt, wenn man jung und mit einem aus Zeitmangel kleinen Sündenregister starb. Aus muslimischem Blickwinkel hatte man Vorfahrt ins Paradies, wenn man für die heilige Sache starb, was Pater Josef nicht nur altmodisch, sondern aberwitzig anmutete.
    Da die Diskussion nirgendwohin führte, tauschten

Weitere Kostenlose Bücher