Coq 11
palästinensische Volk dürfe nicht akzeptieren, dass Gaza in ein einziges großes Gefängnis ohne Hafen oder Flugplatz verwandelt werde, dem von Israels Flotte und Luftwaffe die Luft zum Atmen genommen werde. Da Israel alle Zölle und Umsatzsteuern konfisziere, stehe die Infrastruktur von Gaza kurz vorm Zusammenbruch. Mehr als zwei Millionen Palästinenser würden als Geiseln gehalten, weil Israel der Ausgang der letzten demokratischen Wahl nicht gefiele. Es sei jedoch undemokratisch, das palästinensische Volk zu bestrafen, weil es falsch gewählt habe. Daher mache man jetzt von seinem Recht Gebrauch, militärische Maßnahmen gegen die Blockade zu ergreifen. Aus völkerrechtlicher Sicht sei die Sache glasklar.
Auf ihre ironische Frage, welcher militärischen Mittel man sich denn abgesehen von Terrorismus und Selbstmordattentätern bedienen wolle, hatte er nur geantwortet, Selbstmordattentate stünden nicht zur Debatte. Im Übrigen: kein Kommentar. Sie schämte sich fast für das Interview.
Später hatte sie begriffen, dass das Interview gar nicht ernst gemeint, sondern ein Ablenkungsmanöver gewesen war. Zu dumm, dass es bereits ausgestrahlt und mehrfach wiederholt worden war. Die Hauptsache war das ebenso überraschende wie verführerische Angebot gewesen.
Es war nicht von irgendjemandem gekommen. Mouna al-Husseini war im Nahen Osten eine Legende. Offiziell war sie zweimal von den Israelis ermordet worden, und ihre Vorgeschichte übertraf jegliche Vorstellungskraft und sogar die arabische Poesie in ihrer kühnsten Form.
Niemand wusste, wie sie inzwischen aussah. Als sie, ohne anzuklopfen, in einem glitzernden Abendkleid in die Suite im Hotel Tunis getreten war, hatte Rashida Asafina sie für eine hiesige Geliebte des Präsidenten gehalten, die sich in der Tür geirrt hatte.
Dieser Eindruck war offensichtlich ebenso kalkuliert gewesen wie die Wirkung ihres Namens: Als Mouna auf sie zugekommen war, hatte sich Präsident Abbas feierlich erhoben, in Richtung Kamera genickt und gesagt, er würde sie nun mit seiner engen und außerordentlich geschätzten Mitarbeiterin … Mouna al-Husseini allein lassen. Dann hatte er sich verneigt und war gegangen.
»Sind Sie wirklich … die? Wow!«, waren die einzigen Worte, die Rashida Asafina, die angeblich weltgewandte Starreporterin von Al-Dschasira, herausbekommen hatte. Peinlich.
Das Angebot war ohne Umschweife gekommen. Es gehe um eine Sensation, mit der die Reporterin in die Geschichte des Journalismus eingehen würde. Wenn sie Zeit habe, könne sie einfach mitkommen, alles sei vorbereitet. Sie brauche nur die Kamera, ihre Sendeausrüstung für den Satelliten und das Schneidegerät einzupacken. Passende Kleidung und alles Weitere befinde sich vor Ort. Mehr dürfe man nicht verraten.
Es war ein erstaunlicher Vorschlag, der einfach zu verlockend geklungen hatte. Hinterher war man immer klüger. Sie hatte noch gefragt, ob ein langes Exklusivinterview mit Mouna al-Husseini Teil der Abmachung sei. Daraufhin hatte Mouna gelacht, das könne sie ihr garantieren. Gemessen an dem ganzen Auftrag sei dies jedoch absolut nebensächlich.
Als Rashida und ihre Fotografin, Kamerafrau und Schnittassistentin Hannah Ruwaida zwei Stunden später die Ausrüstung auf den rostigen Trawler im Hafen von Tunis geladen hatten, hatte sie an ein Interview auf See mit irgendeinem weltweit gesuchten Fiesling geglaubt, im besten Fall Osama bin Laden. Alles andere wäre keine Sensation gewesen.
Nun waren sie also Gefangene, die immer noch nicht mehr wussten und deren Mobiltelefone man beschlagnahmt hatte. Immer wieder war ihnen versichert worden, man werde die Versprechen halten. Aus Richtung Gibraltar und vom Atlantik vor der portugiesischen Küste war das raue Wetter gekommen. Die Seekrankheit hatte das Gefühl der Ohnmacht nur verstärkt.
Inzwischen waren die Motoren des Trawlers fast zum Stehen gekommen; mit brennenden Scheinwerfern glitten sie durch die schwarze See. Da es schien, als würde endlich etwas passieren, ging sie mit Hannah auf die Brücke.
Als Erstes fiel ihnen die Angespanntheit aller Anwesenden auf. Mouna al-Husseini trug eine Art Militärkleidung. Die Nervosität ließ Rashida Asafina hoffen. Irgendetwas würde auf jeden Fall passieren. Die Palästinenser flüsterten eifrig und guckten ständig auf ihre GPS-Geräte. Plötzlich entdeckten sie da draußen etwas und wirkten sowohl aufgeregt als auch erleichtert.
Als sie näher kamen, huschten die Scheinwerfer des Trawlers
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