Coq Rouge
wir drei diese Ermittlung nach einiger Zeit aufgeben, ohne je etwas zu erfahren.
Außerdem fühle ich mich irgendwie hereingelegt.«
»Damit könntest du recht haben. Es ist sogar ein verdammt unangenehmer Gedanke, aber auch ich werde ihn nicht los. Jemand will uns hereinlegen.«
»Näslund, natürlich.«
»Ja, aber stell dir vor, jemand legt Näslund herein. Er ist ein Scheißkerl, der in der Firma schon viel Unheil angerichtet hat, das muß ich zugeben. Aber es fällt mir schwer zu glauben, daß er ein echter Verbrecher ist. Nein, es ist schon gut, daß du fliegst. Ich vertraue dir. Es ist schön, das sagen zu können, aber ich vertraue dir jetzt tatsächlich.«
»Aber das hast du zu Anfang nicht getan?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Es ist schwer, das ganz konkret zu sagen. Aber alle neuen Leute, die wie du aussehen und in die Firma kommen, sind ja Näslunds Leute, und die zerstören die Firma, laufen außerdem überall herum und spionieren für ihn, und wenn man etwas sagt, was man nicht sagen sollte, wenn so ein Kerl in der Nähe ist, hat Näslund es noch am selben Tag auf dem Tisch. Ich habe dich für so einen Typen gehalten, Abteilungsleiter und so weiter. Vielleicht könnte man sagen, daß wir alten Bullen Abteilungsleiter nicht ausstehen können.«
»Vor allem, wenn sie Kommunisten sind?«
»Bist du das?«
»Nun ja, ehrlich kann ich das nicht behaupten. Aber ich bin in der Firma immerhin als Sicherheitsrisiko registriert.«
»Ja, daraus bin ich nicht schlau geworden. In meinen ersten Jahren habe ich in der Außenstelle Luleå gesessen und mußte mich um die Kommunisten kümmern. Habe jeden Tag Norrskenflamman gelesen. Die Familienseiten.
Erst die Todesanzeigen, denn jeder, der gestorben war, mußte im Register gelöscht werden, und wenn es unter den Trauernden neue Namen gab, mußten die rein. Die Welt war damals noch ein bißchen einfacher. Nein, ich glaube schon, daß ich dich mag, Hamilton, und ich bitte dich für diese Sache um Entschuldigung. Aber du weißt, alte Hunde erzieht man nicht mehr.«
Appeltoft entschuldigte sich, stand auf, ging zu seiner Frau ins Schlafzimmer und sagte ihr gute Nacht. Er deckte sie zu und kam nach einer Weile mit einer Flasche billigen Weißweins in der Hand zurück.
»Sie schläft immer vor dem Fernseher ein, trotzdem muß sie jeden Abend dasitzen. Ich muß allerdings zugeben, daß ich auch sehr viel hier am Küchentisch sitze und meine Arbeit erledige. Bist du verheiratet?«
»Nein, der Job hat die Sache platzen lassen. Ich war verliebt, wagte aber nie, von meiner Arbeit zu erzählen, und das hat zu einigen Mißverständnissen geführt.«
»Ich habe meiner Frau auch nie erzählt, was genau ich arbeite«, sagte Appeltoft traurig und entfernte den Schraubverschluß der Weinflasche.
11
Der Tag vor dem Heiligabend der Christen vermittelt an der Klagemauer einen eigentümlichen Eindruck. Die meisten Besucher stehen nämlich außerhalb der Einfriedung auf der halben Fläche des heiligen, im Jahre 1967 errichteten Platzes, der direkt an der Mauer liegt. Wer den eingefriedeten Raum betritt, muß sich ein Käppi aufsetzen, und ein großer Teil der christlichen Touristen verzichtet darauf, aus Gründen, die weder sie selbst noch ein anderer erklären könnte. Daher ist der gesäuberte Platz vor der Klagemauer einer der wenigen Orte in Israel, an denen man einigermaßen deutlich erkennen kann, wer Jude ist und wer nicht.
Aber auch das ist nicht sicher. Und gerade an diesem Tag vor Heiligabend erschien eine skandinavische Reisegruppe mit einem Reiseleiter an der Spitze, der gleichzeitig Pastor war, und mietete sich unter mancherlei Gekicher und Komplikationen die Ausstattung, die erforderlich war, um von den Wachtposten der Grenzpolizei mit ihren grünen Baskenmützen an die Mauer herangelassen zu werden. Für die Wachtposten gab es jedoch nicht sonderlich viel zu kontrollieren, als die Gruppe durchgelassen wurde. Man hatte alle schon vor dem Betreten des einstigen Tempelbezirks durchsucht, und sowohl Jahreszeit wie das hohe Durchschnittsalter unter den Damen der Gruppe garantierten gesittete Kleidung.
Vorn an der Mauer hielt der Reiseleiter einen kurzen, geflüsterten Vortrag, der mit dem Hinweis endete, hier könne man kleine Gebete auf Zettel schreiben und diese in eine der Spalten des Mauerwerks stecken. Es sei üblich, daß Juden aus der ganzen Welt herkämen, um ihre Gebete so anzubringen. Von den Besuchern fühlte sich jedoch keiner dazu aufgefordert.
Weitere Kostenlose Bücher