Coq Rouge
Es war ja nicht die Mauer ihres Gottes. Im übrigen wollten sie direkt nach der Besichtigung der Klagemauer die Treppe zur Omar-Moschee hinaufgehen, die sich als eines der schönsten Bauwerke der »Mohammedaner« erweisen würde, in der man kein Käppi auf dem Kopf brauchte, dafür jedoch die Schuhe ausziehen mußte. Die Gebühren für die beiden Besuche waren in den Kosten dieser Weihnachtsreise ins Heilige Land enthalten.
Es war Nachmittag, und es nieselte leicht. Die chassidischen Juden in ihren langen dunklen Kaftans und ihren runden, pelzbesetzten Hüten widmeten sich unter ihrem ewigen sich wiegen den Gebeten vor der Mauer, von ihrem Attraktionswert für die Touristen anscheinend völlig unberührt. Die Augen des Sicherheitsdienstes waren überall in der Nähe, auf jedem hohen Platz, besorgt und wachsam auf der Hut; manche Beamte waren so postiert, daß man sie sehen konnte, andere so, daß nur ein Besucher in der letzten Reihe der skandinavischen Touristengruppen sie entdecken konnte. In Israel kommt es im Durchschnitt zu einem Bombenanschlag pro Tag, aber die treffen eher unbewachte Orte wie Bushaltestellen, Supermärkte und Cafes.
Außerhalb Israels erregen diese Vorfälle seit ein paar Jahrzehnten keine besondere Aufmerksamkeit mehr. Aber hier, am Allerheiligsten, durfte nichts geschehen, nicht einmal oben in dem moslemischen Tempelgebiet, nachdem es einem durchgedrehten amerikanischen Studenten einmal gelungen war, die Al-Aqsa-Moschee in der Absicht in Brand zu setzen, das Tempelgebiet von Moscheen zu säubern, damit der Tempel wiedererrichtet werden könne. Dies war die Erklärung, die der Student nachträglich abgab, was zu Demonstrationen führte, zu Blutvergießen sowie zu einem Strom arabischer Proteste und zu unerwünschter Publizität.
Nachdem die skandinavische Touristengruppe zu den moslemischen Heiligtümern hochgekeucht war, wurde sie folglich noch einmal durchsucht, eher aus Gründen der göttlichen Gerechtigkeit denn aus reinen Sicherheitsgründen. Natürlich erwartete beim Sicherheitsdienst niemand, daß Terroristen wie Terroristen aussehen müssen, und andererseits war man an christliche Rentner gewöhnt; in dieser Gruppe machten alle einen völlig normalen Eindruck, auch der adrette junge Mann, der beim Betreten der Omar-Moschee seine ältere Verwandte am Arm führte, um zunächst die hellenistischen und andere nichtmoslemische künstlerische Einflüsse zu bewundern, möglicherweise etwas christlichwiderwillig zu bewundern, die dem Pastor/Reiseleiter zufolge den Bau prägten. Eine echte »mohammedanische« Kunst gebe es im Grunde nicht. Anschließend durften die Touristen in die eigentliche Grotte unter dem nackten Felsen direkt unter der Kuppel hinabsteigen, unter dem Felsen, von dem vermutet werde, daß Abraham dort seinen Sohn habe opfern wollen (und unter diesem Felsen begann Mohammed seine Reise über das Himmelsgewölbe, was der Grund dafür ist, daß die Omar-Moschee gerade hier errichtet worden ist; ein Hinweis, den der Pastor versäumte, ebenso die Tatsache, daß Abraham einer der Urväter des Korans ist, was Ibrahim zu einem häufigen arabischen Namen macht).
Das Hotel Jordan House lag nur einige Minuten Fußweg von der Altstadt entfernt, und nach dem Besuch des Tempelgebiets wurde denjenigen, die sich auf eigene Faust in den Basars an der Via Dolorosa umsehen wollten, Zeit zur freien Verfügung gegeben, an der Via Dolorosa, auf der man schon früher an diesem Tag der Kreuzwanderung Jesu Station für Station gefolgt war.
Frau Eivor Berggren war dreiundsiebzig Jahre alt und die Witwe eines Herrenausstatters aus Jönköping. Sie befand sich auf ihrer ersten Auslandsreise, wenn man die nach Dänemark nicht mitzählte. Im Moment war sie unendlich dankbar, daß der wohlerzogene junge Mann, der sich schon auf dem Ben-Gurion-Flughafen ihrer angenommen hatte, sich nochmals und ebenso selbstverständlich erboten hatte, sie zu den Basars zu begleiten. Sie hatte zwar scharfsichtig beobachtet, daß er am Abend zuvor das Kirchenlied nicht mitgesungen hatte, in dem vom Aufstieg nach Jerusalem die Rede ist. Die Reisegesellschaft hatte sich nämlich gleich nach der Ankunft im kleinen Speisesaal des Hotels versammelt, um Kirchenlieder zu singen. Der junge Mann hatte aber immerhin teilgenommen, und es gab in der Gruppe einige, die sich gar nicht hatten blicken lassen.
Außerdem war es schön, einen Beschützer bei sich zu haben, wenn man die engen Gassen des Araberviertels betrat. Sie war
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