Coq Rouge
wollte sich schüchtern, aber gern ein paar Scherben ansehen, die angeblich aus urchristlicher Zeit stammten. Carl riet ihr von einem Kauf ab.
Als sie durch das Damaskus-Tor kamen und der schlüpfrige, tausendjährige Straßenbelag in Asphalt überging, wurde der Regen stärker. Frau Berggren sprach von ihren Eindrücken; Jerusalem sei kleiner, als sie gedacht habe, ja, natürlich die richtige Altstadt, die außerdem so arabisch aussehe, was sie zur Zeit Jesu sicher nicht getan haben könne. Und jetzt, wo die Juden in ihr Land zurückgekehrt seien, sei es ja merkwürdig, daß die Araber in der Heiligen Stadt wohnen bleiben dürften.
Carl nickte von Zeit zu Zeit, als hörte er ihr zu, war jedoch in ganz andere Probleme versunken. In eineinhalb Stunden sollte er sein zweites Telefongespräch mit einer Geheimnummer im Stockholmer Stadtteil Östermalm führen; es würde zwar niemand abnehmen, aber ein wachhabender Offizier würde sorgfältig die Zahl der Klingeltöne zählen, und dann die folgenden Minuten, bevor wiederum eine verabredete Anzahl von Klingeltönen erfolgte. Für den Alten würde dieser Zahlencode so klar sein wie ein Telegramm: Kein Grund zur Sorge. Melde mich innerhalb von vierundzwanzig Stunden mit neuer Nachricht. Kontakt hergestellt.
Kein Computer in der Welt würde diesen Code brechen können, da er eine ganz persönliche Konstruktion des Alten und Carls war. Überdies war das Risiko, daß Computer überhaupt in der Lage sein könnten, diesen Anruf Carl Hamiltons bei einer geheimen Telefonnummer in Stockholm zu registrieren, statistisch unbedeutend, denn es war nur eins von zwanzigtausend Telefonaten zwischen Europa und Israel allein an diesem Tag. Und eine Geheimnummer kann sowieso jeder x-Beliebige beantragen.
»Mir ist schon klar, daß Sie eine kleine Freundin angerufen haben, aber Sie sind ja auch noch jung«, sagte Frau Berggren, die blitzschnell Gesprächsthema und Tonfall gewechselt hatte. Sie schien etwas beleidigt zu sein.
»Ja«, lächelte Carl schüchtern, »ich muß zugeben, daß Sie mich durchschaut haben.«
Er begleitete sie zum Hotel und ging dann in die Stadt, suchte den zentralen Busbahnhof bei Rehov Jafo, besorgte sich Fahrpläne, eine Buskarte und einige Telefonnummern. Er rief jedoch nirgends an und blickte sich bei seiner Wanderung durch die Stadt auch nicht um, da er einerseits davon ausging, daß man ihn möglicherweise verfolgte und daß man ihn dann beobachten würde, ob und wen er anrief; andererseits wären die Verfolger in ihrer eigenen Stadt kaum zu entdecken. Die modernen jüdischen Stadtteile Jerusalems machen es jedem schwer, der Verfolger abschütteln will; in den schlammigen, engen Straßen mit ihrem Menschengewimmel zwischen niedrigen Häusern kann man nicht überraschend mit dem Wagen verschwinden; es gibt keine U-Bahn und nur kleine Flächen, so daß man immer wieder schnell geortet wird, selbst wenn man sich vorübergehend unsichtbar machen kann. Die gewundenen Gassen des arabischen Stadtteils jenseits der Mauern bieten natürlich ganz andere Möglichkeiten. Aber auch das nur für kurze Zeit, da das Objekt früher oder später die Ringmauer durch eines der großen Tore verlassen muß und dann sofort wieder entdeckt wird.
Warum brauchte Shulamit Zeit, um etwas vorzubereiten? Und was bereitete sie vor? Wenn das Ganze eine Falle war, hätten sie seine Ankunft schon im voraus registrieren müssen. Bereits die Überwachung aller Passagiere und deren Gepäck auf dem Kopenhagener Flughafen Kastrup durch den israelischen Sicherheitsdienst hätte die Operation auslösen müssen. Wenn es sich aber tatsächlich nur um eine private Initiative Shulamits handelte, war es offenkundig, daß sie einen oder zwei Tage brauchte, um loszukommen.
Sie hatte es am Telefon vermieden, Eilat zu nennen. Das hätte sie nicht nötig gehabt, wenn sie selbst wie auch der Shin Beth alles vorausgeplant hätten. Andererseits konnten sie aber auch davon ausgehen, daß er genau zu dieser Schlußfolgerung kommen würde.
Sie hatte betont, daß er den ersten Bus nach Eilat nicht verpassen dürfe, daß er sich in ihm befinden müsse. Folglich stand nicht fest, daß sie selbst schon in Jerusalem zusteigen würde. Vielleicht hatte sie andeuten wollen, daß er sich auch eine spätere Haltestelle suchen könne. Bis jetzt war alles einfach und klar. Carl brauchte nicht lange zu überlegen, bis sein Plan feststand. Er wußte, wie er erst verschwinden und dann den Bus besteigen würde.
Erik Appeltoft
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