Coq Rouge
hatte weniger als einen Arbeitstag gebraucht, um herauszufinden, daß man die »Munition für die Mordwaffe«, wie Näslund die sechzehn 7,62mm-Patronen nannte, nach der ersten Hausdurchsuchung in Hedlunds Wohnung geschmuggelt haben mußte. Und derjenige, der das gefälschte Beweismaterial dort untergebracht hatte, hatte sich offensichtlich nicht recht klargemacht, wie es bei einer schwedischen Hausdurchsuchung zugeht. Die Beschlagnahmeprotokolle aus der Wohnung Hedlund/Hernberg waren in einem dicken DIN- A4-Ordner gesammelt, und die verschiedenen Rubriken verzeichneten mehrere tausend Gegenstände.
Die Gegenstände 537 bis 589 befanden sich in Protokoll 37 B unter der Rubrik Papierkorb am Schreibtisch.
Der Papierkorb war sorgfältig in einen eigens numerierten Plastiksack geleert worden, der anschließend vom Personal des Erkennungsdienstes geöffnet und dessen Inhalt genau registriert worden war. Da fanden sich soundso viele zusammengeknüllte Manuskriptblätter mit dem und dem Inhalt, vier zusammengeknüllte Zigarettenschachteln der Marke X, Holzsplitter vom Bleistiftanspitzen, das Umschlagpapier eines Schokoladenriegels der Marke Bounty, zwei Apfelgehäuse, ein gebrauchtes Farbband für eine Schreibmaschine der Marke Facit, und so ging es von Nummer 537 bis 589 weiter.
Es war folglich völlig undenkbar, daß die Beamten, die den Papierkorb geleert hatten, etwas so Auffälliges wie die ausgeschnittenen Buchseiten auf dem Boden des Papierkorbs hätten übersehen können. Appeltoft hatte überdies mit den beiden Männern gesprochen, die das Material in den Plastiksack gesteckt hatten. Sie erinnerten sich genau, daß einer den Plastiksack gehalten und der andere den Papierkorb geleert hatte.
Anschließend hatten sie wie immer, das war selbstverständlich, auf den Boden geklopft und kontrolliert, daß nichts hängengeblieben war.
Es war nicht sonderlich erstaunlich, daß sich Hedlund bei einem Verhör, bei dem man ihm mitteilte, er sei der Mittäterschaft eines Mordes verdächtig, völlig konsterniert zeigte und sich dann wie gewöhnlich geweigert hatte, ohne Anwesenheit seines Anwalts Fragen zu beantworten.
Appeltoft hatte lange gezögert, bevor er am Ende den Staranwalt anrief und diesen bat, er möge sich im Untersuchungsgefängnis einfinden, damit man ein kurzes Verhör vornehmen könne, mit oder ohne das Tonbandgerät des Anwalts. Es sei zwar einen Tag vor Heiligabend, aber es sei wichtig und werde nicht lange dauern. Vermutlich werde das Ergebnis zum Vorteil des Verdächtigen ausfallen. Bestimmte Anzeichen deuteten nämlich darauf hin, daß die russische Munition nach der Hausdurchsuchung und nach der Festnahme in der Wohnung gelandet sei.
Appeltoft empfand leichten Ekel, als er sich gezwungen sah, den Staranwalt darüber aufzuklären. Aber Recht muß Recht bleiben, auch wenn es einem nicht schmeckt. Sein Anruf hatte immerhin dazu geführt, daß sich der Anwalt innerhalb von zwanzig Minuten einfand. Jetzt saßen alle drei in einem der fensterlosen Besucherzimmer des Untersuchungsgefängnisses Kronoberg. Appeltoft hatte in seiner Aktentasche das ausgehöhlte Buch und zwei kleine Plastiktüten mitgebracht, in denen sich die sechzehn Patronen sowie die ausgeschnittenen Papierreste von Gullivers Reisen befanden.
Appeltoft legte die Gegenstände auf die leere grüne Tischplatte. Er saß dem widerwärtigen jungen Terroristen-Sympathisanten gegenüber, und der widerwärtige Mode-Anwalt saß an der langen Seite des Tisches. Der Anwalt hatte sein Tonbandgerät demonstrativ auf den Tisch gelegt und eingeschaltet, seinem Klienten zugenickt und sich dann mit auf der Brust verschränkten Armen zurückgelehnt.
»Nun«, sagte Appeltoft nervös und peinlich berührt, »ich gehe davon aus, Hedlund, daß du zu diesem Vorwurf schon Stellung nehmen konntest. Und du bestreitest also, daß es deine Munition ist, ist das richtig?«
»Ja, ihr müßt sie dort reingeschmuggelt haben, so geht es wohl in der feinen bürgerlichen Demokratie zu«, entgegnete der Terroristen-Sympathisant.
»Nein, wir haben das Zeug nicht dort hingelegt. Die Frage ist aber, wie die Patronen in einem Buch aus deinem Bücherregal gelandet sind.«
»Darauf kann ich doch nicht antworten.«
»Nein, möglicherweise nicht. Aber ich will wissen, ob du eine Vorstellung davon hast, wie es zugegangen sein kann.«
»Es kann doch kaum der Sinn der Sache sein, daß mein Klient für die Sicherheitspolizei die Ermittlungen führt«, unterbrach der
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