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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Haganah geblieben, aus der später die Zahal wurde, Israels reguläre Armee. Dort war er in den letzten zehn Jahren einer der höchsten Bosse des Aman, des militärischen Nachrichtendienstes, gewesen. Shulamits Vater heiratete 1946 ein polnisches Mädchen, das als einziges Familienmitglied das KZ Sobibor überlebt hatte. Über die Sammellager auf Zypern war sie mit einem der kaum seetauglichen Schiffe nach Palästina gekommen, mit denen die Zionisten die britische Blockade gegen die jüdische Einwanderung nach Palästina zu durchbrechen versuchten.
    Einer von Shulamits zwei Brüdern war vor neun Jahren bei einem Palästinenser-Angriff im Gazastreifen ums Leben gekommen. Er war gerade Offizier geworden und hatte nur noch zwei Tage seines jährlichen Reservistendienstes abzuleisten. Es waren palästinensische Jugendliche, die von einem Hausdach aus Handgranaten in seinen Panzerspähwagen warfen; darauf war das ganze Viertel buchstäblich in die Luft gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht worden. Man erwischte jedoch nur einen der Schuldigen, ein junges Mädchen. Man sei übrigens, fügte Shulamit hinzu, der Meinung gewesen, daß auch die Mittäter Mädchen gewesen seien, aber die Festgenommene verriet das bei den Verhören nie, obwohl die nicht besonders angenehm gewesen sein konnten. Sie wurde zu achtzig Jahren Gefängnis verurteilt.
    Carl dachte an Mouna, die er in Beirut kennengelernt hatte. Rein theoretisch könnte Mouna eine der Fedajin gewesen sein, die davongekommen waren.
    Shulamits Familie hatte jedoch noch größere Verluste gehabt. Sie selbst sei Witwe, ja, sie bitte um Entschuldigung, daß sie es nicht schon früher erzählt habe, aber ihr Mann sei kurz nach der Heirat gestorben. Bei der Invasion des Libanon 1973 sei er bei einem schiitischen Kamikaze-Angriff getötet worden. Ihr Sohn sei gerade in die Schule gekommen, und das sei der Grund, daß sie sich nur mit Mühe habe freimachen können.
    Die Verwandtschaft war in zwei politische Fraktionen aufgeteilt. Alle Familienangehörigen waren zwar Ashkenazim sowie Saborim der ersten oder zweiten Generation wie sie selbst und hätten überdies den ethnischen Ursprung und die historischpolitische Herkunft gemeinsam, was in Israel Einfluß bedeute. So habe sie Verwandte sowohl beim politischen Establishment wie bei der Gewerkschaftsbewegung Histadrut, die vielleicht noch einflußreicher sei als die politischen Parteien, und dann natürlich bei den Streitkräften. Die Gegensätze seien aber ziemlich hart. Der politisch rechtsstehende Teil der Verwandtschaft (der Onkel in der Irgun habe in zwei Ehen nicht weniger als sieben Kinder gehabt) vertrete eine Linie, welche den Traditionalisten wie Shulamit zufolge zum Untergang Israels führe, das heißt zu ewigem Krieg, bis zumindest in der nächsten Umgebung alle Araber getötet seien. Nach Ansicht der Rechten dürfe nicht ein Fußbreit »befreiten« Bodens durch Verrat oder aus Schwäche zurückgegeben werden.
    Dennoch habe diese politische Linie Israel in eine zunehmende Katastrophe geführt, in den wirtschaftlichen Ruin, zu ständig steigender Auswanderung und zu einer verringerten Einwanderung. Am Ende sei es sogar noch zu einem halb verlorenen Krieg im Libanon mit mehreren tausend toten Israelis gekommen. Der einzige Gewinn habe darin bestanden, daß man sich im Libanon noch mehr fanatische Feinde Israels geschaffen habe. Der Begin-Truppe sei ja fast das unglaubliche Kunststück gelungen, Arafat mehr oder weniger in den Libanon zurückzudrängen und ihm überdies eine Allianz oder zumindest eine bewaffnete Neutralität der ehemaligen Todfeinde bei der christlichen libanesischen Rechten zu sichern. Wenn diese Begin-Leute ihre desperate Politik weiterführen dürften, ob nun in der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik oder in manchen Abteilungen des Nachrichtendienstes - fast unmerklich betonte sie das letzte Wort -, treibe man Israel ins Armageddon.
    So sähen die Verhältnisse in ihrer Familie aus. Carl werde nun besser verstehen, daß sie sich an Israel gebunden fühle und wie schwierig es für sie sei, zu heiraten und das Land zu verlassen.
    »Im Augenblick macht das gar nichts. Denn nun sind wir jedenfalls zusammen, hier und jetzt«, tröstete Carl etwas theatralisch, was die Ehehindernisse betraf. Er verstand nicht so recht, worauf sie anspielte.
    Der Bus schlängelte sich zwischen roten, erodierten Bergformationen weiter. Sie näherten sich dem Tiefland in der Nähe des Roten Meeres.
    Shulamit hatte lange

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