Coq Rouge
leise auf englisch, »ich habe so wahnsinnige Sehnsucht nach dir gehabt. Wie geht es deinen Verwandten?«
»Ach, denen geht es einigermaßen. Und deinen?«
»Wie du verstehst, Charlie, hat es in der Familie Probleme gegeben. Papa wollte nicht, daß wir uns sehen, und, nun ja, es ist, wie es ist.«
Sie faltete einen kleinen Zettel auseinander, den sie ihm diskret zeigte. Es war eine kurze Mitteilung: Liebespaar auf dem Weg nach Eilat. Gespräch später.
»Jetzt sind wir jedenfalls zusammen, da können wir alles andere bis auf weiteres vergessen«, sagte Carl und nickte zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Gleichzeitig fuhr der Bus mit einem Ruck an, und in den Lautsprechern begann eine Nachrichtensendung. Radio Israel meldete die Nachrichten des Tages, denen Carl nur entnehmen konnte, daß das Wort Terroristen mehrmals vorkam.
»Ist was Besonderes passiert?« fragte er mit einer Geste zu den Lautsprechern.
»Ja, hast du’s nicht gehört?« erwiderte sie. »Heute nacht hat es in Bethlehem gleich nach dem Weihnachtsgottesdienst einen großen Terroranschlag gegeben.«
»Was ist passiert?« fragte er starr.
»Bomben. Als die Leute aus der Kirche kamen, explodierten zwei Bomben.
Die Christen haben um diese Zeit ihren Weihnachtsgottesdienst. Vier oder fünf Tote und Dutzende Verletzte.«
»Das ist wirklich nicht gut«, sagte Carl aufrichtig besorgt. Der Kopf schwirrte ihm plötzlich vor lauter theoretischen Möglichkeiten, wie sich sein »Verschwinden« in diesem Zusammenhang mißdeuten lassen könnte.
»Das ist wirklich nicht gut. Hat man die Schuldigen gefaßt? Palästinenser, natürlich?«
»Nun ja, es ist wie immer, soundso viele Festgenommene, aber es dauert, bis man weiß, was man daraus schließen kann. Radio Beirut hat sich bereits darüber geäußert, wer dahintersteht oder es behauptet.«
Carl betrachtete sie, ohne sie allzu auffällig anzustarren, während ihm die beiden großen Fragen im Kopf herumsurrten, die der Anlaß zu diesem Treffen waren, aber ihm gingen auch die kleinen Fragen durch den Kopf, etwa warum sie eine Maschinenpistole bei sich hatte, ob die drei dicken Messingspangen auf ihren Schulterklappen bedeuteten, daß sie Hauptmann war und nicht Feldwebel (was er als sowohl Leutnant wie erster Liebhaber wahrlich hätte wissen müssen), welchen Grund es dafür gab, warum sie gerade nach Eilat fuhren, warum sie sich verhielt, als könnten sie belauscht werden, was aus technischen wie praktischen Gründen kaum denkbar war.
Er sah jetzt deutlich, wie schön sie war. Sie mußten aber jetzt eine Art neutraler Unterhaltung finden, um in den verbleibenden Stunden nicht aufzufallen, am besten etwas, wobei sich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden ließ.
»Eigentlich weiß ich viel zuwenig von deiner Familie. Seitdem wir uns kennengelernt haben, haben wir uns nur für uns interessiert. Erzähl mir doch etwas mehr, damit ich dich besser verstehe«, sagte er.
Sie erwiderte mit einem feinen Lächeln, das sei eine ausgezeichnete Idee, es gebe tatsächlich Dinge, die sie noch nicht erzählt habe, die ihm aber das Verständnis erleichtern würden.
Die Landschaft draußen begann, den Charakter zu verändern. Sie waren ohne Zweifel auf dem Weg in die Wüste, und die Temperatur stieg so sehr, daß sie sich bald die grünen Militärjacken ausziehen mußten.
Shulamit Hanegbi war eine Sabra, in zweiter Generation in Israel geboren.
Ihr Großvater war schon vor dem Ersten Weltkrieg und der Balfour-Deklaration aus Pinsk in Polen eingewandert. Er gehörte zur Pioniergeneration der Kibbuzniks, der ersten Idealisten, die in Palästina die jüdische sozialistische Gesellschaft errichten wollten. Er hieß ursprünglich Ledermann, nahm später aber den hebräischen Namen Chaim Hanegbi an, was »Leben in der Wüste« bedeute - sein Lebensziel.
Chaim Hanegbi heiratete eine Russin, die 1924 ins Land kam. Sie bekamen drei Söhne. Die drei Brüder standen schon als Halbwüchsige zwei gegen einen, da der älteste politisch nach rechtsaußen driftete, sowohl die sozialdemokratische Bewegung Mapai wie den Kibbuz in Galiläa verließ, nach Tel Aviv zog, Geschäftsmann wurde und politisch in derselben Gruppe wie Menachem Begin landete. Während des Zweiten Weltkriegs und der Zeit bis zum Freiheitskrieg von 1947 bis 1948 wurden die Brüder fast zu Todfeinden; die beiden jüngeren Brüder gehörten der Haganah an, der älteste Bruder Begins Terrortruppe Irgun Zvai Leumi.
Shulamits jüngster Onkel war in der
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