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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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haben könnte.«
    Es sind solche Aussagen, die in der Journalistensprache als »Bombe« im Gerichtssaal bezeichnet werden. Appeltoft blickte auf die Tischplatte. Er fühlte sich gedemütigt und völlig verdreht. Jedoch nicht, weil er hätte lügen wollen. Daran hatte er nicht eine Sekunde gedacht. Es lag auch nicht daran, daß Recht nicht Recht bleiben sollte, denn dies war Appeltofts Überzeugung, die einzige, die ihm nach bald drei Jahrzehnten beim Sicherheitsdienst geblieben war. Aber daß er als Polizeibeamter als Zeuge der Verteidigung aufgerufen werden sollte, das würde oben bei Näslund oder bei den Kollegen nicht gut ankommen. Das war eine Situation, die ein wenig an die Situation von Verbrechern erinnerte, wenn jemand vor der Polizei sang. Appeltoft hatte gesungen wie ein Kanarienvogel. Aber Recht mußte doch Recht bleiben.
    »Haben Sie besten Dank. Keine weiteren Fragen«, sagte der Staranwalt, der schon wußte, daß er gesiegt hatte.
    »Aha«, sagte die Vorsitzende, »hat die Staatsanwaltschaft noch Fragen an den Zeugen?«
    »Nein, Herr Vorsitzender«, sagte K. G. Jönsson. Seine Ohren liefen wieder rot an, als ihm endlich aufging, wie er die Vorsitzende dauernd angesprochen hatte.
    Dann geschah, was geschehen mußte, jedoch unerhört schnell. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück. Der Staranwalt hatte kaum Zeit gehabt, sich draußen bei den Journalisten seine Zigarre anzuzünden, als die Parteien schon wieder in den Gerichtssaal gerufen wurden.
    Die fünf Richter hatten sich noch nicht einmal von ihren Plätzen erhoben, als die Vorsitzende den Beschluß verkündete. Ein paar Journalisten schrieben später am Abend, sie hätten in den berufsmäßig ausdruckslosen Gesichtern der Richter so etwas wie Hohn gesehen.
    »Das Oberlandesgericht verkündet folgenden Beschluß in der Haftprüfungssache Hedlund. Das Oberlandesgericht ist zu dem Beschluß gekommen, daß Hedlund sofort auf freien Fuß zu setzen ist. Der Beschluß des Landgerichts wird hiermit aufgehoben.«
    Damit zog sich das Gericht eilig zurück. Ein paar erstaunte Gerichtsdiener gingen zu Hedlund und nahmen ihm Handschellen und Fußfesseln ab.
    Auf Verlangen der Staatsanwaltschaft hatte man Hedlund diese nämlich angelegt, da er angeblich besonders gefährlich sei. Außerhalb des Gerichtssaals waren an die hundert Polizeibeamte postiert, fünfzehn davon mit kugelsicheren Westen, Helmen und Tränengas. Man hatte sie zum Gericht abkommandiert, um jeden denkbaren Befreiungsversuch zu vereiteln.
    Appeltoft ging gesenkten Hauptes und mit düsteren, gemischten Gefühlen durch den unterirdischen Gang unter dem Stockholmer Rathaus, den sogenannten Seufzergang, der die Gerichtssäle mit den Haftzellen und den Polizeihäusern verband. Er bedauerte keineswegs, daß der widerwärtige kleine Terroristen-Sympathisant auf freien Fuß gesetzt worden war und daß jede mögliche Anklage gegen ihn jetzt unmöglich sein würde, was der Staatsanwalt der Presse auch sagen mochte. Die Freilassung war rechtens.
    Der Widerwärtige war nämlich unschuldig.
    Appeltoft schauderte jedoch vor dem, was unvermeidlich geschehen würde, wenn Sektionschef Näslund ihn zu sich rief.
    Als Appeltoft das Arbeitszimmer betrat, brauchte Fristedt nur einen Blick auf ihn zu werfen, um zu wissen, was passiert war.
    »Man hat ihn natürlich auf freien Fuß gesetzt?« fragte Fristedt.
    Appeltoft murmelte eine bejahende Antwort und sank auf einen der Besucherstühle. Er fühlte sich wie ein Idiot. Außerdem war sein Weihnachtsurlaub bei der Tochter und deren Familie zerstört.
    Fristedt war jedoch in einer ganz anderen Verfassung. Fristedt hatte nämlich die graphische Darstellung der Ermittlungen an der Wand angestarrt und endlich das gesehen, was er die ganze Zeit hätte sehen müssen. Er blitzte förmlich vor Eifer und Energie.
    »Was hast du am 30. November 1963 gemacht?« fragte er Appeltoft in einem Ton, der trotz der Absurdität der Frage deutlich zeigte, daß er es ernst meinte.
    Appeltoft rieb sich mit Zeigefinger und Daumen zwischen den Augen und schloß sie, während er sich an einen Zeitpunkt zu erinnern versuchte, der fast ein Vierteljahrhundert zurücklag.
    »Ich war damals Polizeiassistent und war gerade von Luleå nach Stockholm versetzt worden. Es war mein erstes Jahr bei der Sicherheit, ich arbeitete in der Dienststelle, aus der später Büro A wurde, beschäftigte mich vor allem mit den Russen. Wohnte in einer Zweizimmerwohnung in Bagarmossen, meine Tochter war zwei

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