Coq Rouge
haben.«
»Haben Sie sein Alter schätzen können? Auch wenn man jemanden nicht deutlich sieht, bekommt man ja einen Eindruck davon, ob dieser Mensch alt oder jung ist.«
»Er war nicht so alt. Damit meine ich, vielleicht nicht so alt wie Sie, Herr Wachtmeister. Aber ich glaube, daß es ein Mann Mitte Dreißig gewesen ist, vielleicht auch ein junger Mann, denn er trug solche Jeans.«
»Da sind Sie sicher?«
»Ja, denn als er nicht antwortete, dachte ich, das ist typisch für diese ungezogenen Leute mit Jeans. Das war vielleicht dumm von mir, aber so habe ich jedenfalls gedacht.«
»Sie sind also sicher, daß er eine grüne Jacke mit hochgezogener Kapuze trug und Jeans?«
»Ja, absolut, das kann ich beschwören.«
»Nun, das wird kaum nötig sein, wenn Sie ihrer Sache sicher sind. Haben Sie gesehen, was er an den Füßen trug?«
»Nein, darauf habe ich nicht geachtet.«
»Und Sie sind sicher, daß er nichts sagte, als Sie ihn ansprachen?«
»Ja, völlig sicher.«
»Aber Sie wissen nicht, ob er Sie verstanden hat?«
»Nein, aber er muß ja bemerkt haben, daß ich etwas zu ihm sagte. Aber er blickte trotzdem nicht auf, sondern ging einfach vorbei.«
»Schien er es eilig zu haben?«
»Nein, nicht direkt. Er ging mit entschlossenen Schritten, könnte man sagen, aber er rannte nicht oder so.«
»Sie haben davor keinen Schuß gehört, keinen merkwürdigen Laut?«
»Nein, o nein. Dann hätte ich ja Angst bekommen, und das hatte ich nicht.«
Ljungdahl ging das Ganze noch dreimal durch. Es war kein Zweifel möglich. Die alte Dame hatte den Mörder gesehen, und hier war jedenfalls der Anfang einer Personenbeschreibung. Und dazu weitere Hinweise auf das Verhalten des Mörders, das auf Ljungdahl einigen Eindruck machte. Ein völlig verängstigter Gelegenheitsmörder, der in Panik vom Tatort flüchtet, hätte die Dame zur Seite gestoßen und wäre gelaufen, hätte sie angeflucht, schlimmstenfalls geschossen und wäre dann Hals über Kopf weggerannt.
Dieser Mann in Jeans und grüner Jacke wußte genau, was er tat. Daß er nicht antwortete, konnte daran gelegen haben, daß er Ausländer war und sich nicht verraten wollte, vielleicht hatte er auch nichts verstanden. Aber auch ein Schwede, der so kaltblütig aufgetreten wäre, hätte darauf verzichtet, seine Stimme zu verraten.
Ljungdahl klappte sein Notizbuch zu. Er zog es vor, sich Aufzeichnungen zu machen, obwohl er bei Vernehmungen gleichzeitig ein Tonband laufen ließ. Er griff immer auf seine eigenen Notizen zurück und nicht auf die unendlich mühseligen wörtlichen Abschriften. Er verbeugte sich, bedankte sich für den Kaffee, fuhr zurück nach Kungsholmen und gab das Band zum Schreiben weg, bevor er zum Feierabend nach Hause fuhr.
Fristedt war direkt in sein Zimmer gegangen und hatte die Nummer der sowjetischen Botschaft gewählt. Beim Wählen lächelte er über die Absurdität der Situation. Am anderen Ende nahm jemand ab, der gebrochen Schwedisch sprach. Fristedt fragte nach Michail Subarow und wurde gleich durchgestellt.
Man kann den KGB also tatsächlich per Telefon erreichen, dachte er, während er darauf wartete, mit dem Residenten höchstpersönlich verbunden zu werden, das heißt mit dem Schweden-Chef des KGB. Das Gespräch war kurz und wurde in englischer Sprache geführt.
Als er sich in seiner Eigenschaft als Kommissar der Sicherheitsabteilung der Reichspolizeiführung vorstellte und gleichzeitig um ein baldiges Zusammentreffen in einer äußerst wichtigen Angelegenheit bat, folgte zunächst ein langes Schweigen.
»Rufen Sie in offiziellem Auftrag an?« wollte der Resident wissen.
Fristedt dachte nach. Was heißt offiziell. Es war ja nicht gerade ein heimliches Telefongespräch, und außerdem wurden sie in diesem Moment von mindestens zwei, vermutlich drei Sicherheits oder Nachrichtendiensten auf Band aufgenommen.
»Ja«, erwiderte er, »es ist eine offizielle Angelegenheit, die ich Ihnen persönlich darlegen möchte, und es ist sehr dringend.«
Wieder ein langes Schweigen.
»Dann schlage ich vor, daß Sie sofort in die Botschaft kommen«, erwiderte der KGB-Chef schließlich.
Kaum eine Viertelstunde später saß Fristedt in Subarows Zimmer oder zumindest in einem großen und spärlich möblierten Dienstzimmer mit zugezogenen Gardinen im oberen Stock des Botschaftsgebäudes. Die Wände waren mit Gemälden geschmückt, die offenbar verschiedene Episoden in Lenins Leben zeigten. Hinter dem Schreibtisch, an dem Subarow saß, hing ein großes
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