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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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die Abdeckhaube über die Tastatur und ging auf die Straße hinunter.
    Aus unerfindlichen Gründen kein Strafzettel am Wagen. Es regnete und war dunkel. Ihm fiel ein, daß er den ganzen Tag nichts gegessen hatte, und so hielt er auf dem Heimweg vor einer Hamburger-Bar.
    Zu Hause räumte er eine Stunde lang in wütendem Tempo auf und wechselte die Bettwäsche. Dann ließ er sich in seinen Lesesessel fallen, griff zu den Kopfhörern der Stereoanlage und legte ein Klarinettenquintett von Mozart auf.
    Ihm war unbehaglich zumute. Es waren also Palästina-Aktivisten, die er jagte, Genossen, die in etwa wegen der gleichen Sünden gespeichert worden waren wie er selbst. Er hatte ja auch einmal so eine Reise nach Beirut gemacht, vor ziemlich vielen Jahren, als Beirut noch nicht durch mehrere Kriege in Schutt und Asche gelegt worden war. Damals konnten er und die Genossen noch von Büro zu Büro gehen und einen Vertreter der palästinensischen Befreiungsbewegung nach dem anderen sprechen. Er hatte es selbst getan. Wo stand er jetzt?
    Nein, es war zwar unbehaglich, aber er konnte sich nicht davonstehlen. Es lag ein ganzer Ozean von Unterschieden zwischen gewöhnlicher legaler Solidaritätsarbeit und Terrorismus. Weder er selbst noch einer der Genossen in der Clarté wäre je auf den Gedanken gekommen, sich an der Ermordung schwedischer Polizeibeamter zu beteiligen.
    Es war eine unangenehme Lage, aber keine schwierige moralische Frage.
    Die Genossen, die Polizisten ermordeten oder dabei halfen, waren letztlich keine Genossen, ebensowenig wie die Baader-Meinhof-Bande etwas mit Sozialismus zu tun hatte. Aber gab es denn überhaupt schwedische Terroristen? Jetzt, so viele Jahre nach der linken Welle? Oder vielleicht gerade darum? Was in den Massenbewegungen der sechziger und siebziger Jahre unmöglich war, konnte inzwischen vielleicht Realität sein, nachdem die Linke auf unbedeutende kleine Sekten zusammengeschrumpft war. Ein Ausbruch von Verzweiflung?
    Wie er sich auch drehte und wendete: Carl Gustaf Gilbert Hamilton, neunundzwanzig Jahre, ehemaliges Mitglied der Clarté, unter anderem deswegen von den Sicherheitsdiensten registriert sowie wegen unerwünschter Auslandsreisen in dem Register gespeichert, das er jetzt benutzte, dazu Reserveleutnant der Marine und Abteilungsleiter beim Sicherheitsdienst des Reiches; dieser er selbst, der ein anderer Mensch geworden war, mit dunklen Eisschollen in sich, Erinnerungsbildern an die fünfjährige Ausbildung zum field operator, beteiligte sich jetzt an der Jagd auf Palästina-Aktivisten.
    Er schlief mit den Kopfhörern ein. Die Mozart-Platte lief weiter.
    Erik Appeltoft saß zu Hause in der Küche auf einem einfachen Holzstuhl. Er hatte abgewaschen, den Müll hinuntergebracht und den Tisch abgedeckt; seitdem seine Frau im vergangenen Jahr einen Herzanfall erlitten hatte, hatte er den größten Teil der Haushaltsarbeit übernommen, jedenfalls das meiste von dem, was nach siebzehn Uhr zu erledigen war. Sie waren seit einunddreißig Jahren verheiratet, aber in den letzten achtzehn Jahren, in denen er in der Firma gearbeitet hatte, hatten sie nie über seinen Job gesprochen.
    Offiziell ist es verboten. Kein Angestellter beim Sicherheitsdienst des Reiches ist berechtigt, wie es heißt, privat über Angelegenheiten zu sprechen, die mit geheimem Material zu tun haben. Und alles, was die Firma betrifft, muß als geheim betrachtet werden. In dieser Hinsicht gab es bei den Kollegen zwei verschiedene Schulen. Sie verhielten sich entweder wie Appeltoft oder so wie Fristedt etwa, der alles mit seiner Frau ausdiskutierte, zwar nicht gerade mit den Kindern, aber immerhin mit seiner Frau. In der Firma selbst wurde nicht über diese Dinge gesprochen; jeder mußte das Problem nach eigener Veranlagung und nach eigenem Gewissen lösen. Fristedt hatte irgendwann beiläufig angedeutet, daß er ganz einfach nicht denken könne, wenn er alles für sich behalten solle.
    Aber Appeltoft behielt alles, was die Firma betraf, für sich, wenn er zu Hause war. Er wußte trotzdem sehr wohl, daß seine Frau schnell an seinem Gesicht ablesen konnte, was los war, wenn er nach Hause kam. Jetzt vor dem Essen war sein Gesicht sicher wie ein offenes Buch gewesen. Sie hatte beide Abendzeitungen vor sich liegen, und wenn er überhaupt nicht auf die Sache einging, war ihr klar, daß er beruflich damit zu tun hatte. Also kam es zu der gewohnten Prozedur. Sie trank nach dem Essen ihre Tasse Kaffee und ging zum Fernsehen ins

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