Cora Historical Gold - 129 - Die Novizin
durften. Dann verkrampfte sich sein ganzer Körper, denn da blitzte doch tatsächlich etwas Schwarzweißes zwischen den Bäumen auf.
»He da!« schrie er, riss sein Pferd herum und ritt ihr entgegen, um ihr den Weg zu verstellen. »Was zum Teufel glaubt Ihr, tut Ihr da?«
»Ich helfe Euch, den Jungen zu suchen«, erklärte Eloise und reckte das Kinn.
»Nein, zum Teufel noch mal«, fauchte er. »Ein vermisstes Kind reicht mir, eine verlorene Nonne fehlt mir gerade noch. Macht kehrt und reitet zurück.« Dann schaffte er es, seinen Zorn etwas zu zügeln. »Wenn Ihr unbedingt etwas tun wollt, sprecht ein paar Gebete. Oder wenn Ihr Euch wirklich nützlich machen wollt, tröstet die Mutter des Jungen.«
»Ich habe bereits einen Strauß von Gebeten gen Himmel geschickt, danke. Nun macht Platz. Wir verschwenden Tageslicht.«
»Ich übernehme keine Verantwortung …«
»Vier Augen sehen mehr als zwei. Und wer sagt denn, dass Ihr für mich verantwortlich seid?«
»Ich!«
In diesem Augenblick erkannte Eloise die Anspannung in seinem Gesicht und wie sehr er an der Bürde der Verantwortung trug. Zum ersten Mal ging ihr auf, dass sein ständiges Herumkommandieren nicht nur männlichem Stolz entsprang. Sie hatte ja auch sein schmerzverzerrtes Gesicht gesehen, als die Frau sich an ihn klammerte und um Hilfe anflehte – und seine Seelenpein, als er sich an die anderen verschwundenen Kinder erinnerte. Die Menschen lagen ihm wirklich am Herzen. Seine Leute. Sie spürte, wie sie weich wurde.
»Nun, um mich braucht Ihr Euch nicht zu sorgen«, sagte sie ruhig. »Ich werde in vierzig Ellen Abstand zu Eurer Rechten bleiben und Augen und Ohren aufhalten. Denkt an mich als … Eure rechte Hand.«
Er rutschte im Sattel herum, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie loszuwerden, und dem, die Suche fortzusetzen. Und wie erhofft, hatte das Los des Jungen Vorrang.
»Nun gut, verdammt! Aber wenn Ihr verloren geht, werde ich Euch erst suchen, nachdem wir den Jungen gefunden haben.« Er drehte ab und preschte durch das Unterholz zu der Stelle, die er vorher verlassen hatte. Doch als er tiefer in den Wald eindrang, sah er immer wieder in ihre Richtung, um zu sehen, ob sie noch da war.
Fest entschlossen, ihm eine Hilfe und keine Last zu sein, begann Eloise, nach dem Jungen zu rufen und auf eine Antwort zu lauschen. Der Earl musste gemerkt haben, dass sie damit ebenso ihren Standort signalisieren wie den Jungen aufspüren wollte, denn als er anhielt, um sie zwischen den Bäumen zu sehen, hatte er sich so weit entspannt, dass er ihr zunickte.
Als der Wald dichter und das Vorankommen beschwerlicher wurde, musste sie großen Felsblöcken ausweichen und fand sich plötzlich in seiner Nähe wieder.
»Gibt es hier denn eine Stelle im Wald, wo Kinder gern spielen oder sich ein paar Stunden versteckt halten?« rief sie ihm zu. »Vielleicht in einer Höhle oder an einem Bach?«
»Ich habe keine Ahnung«, versetzte er barsch.
»Aber als kleiner Junge habt Ihr doch sicherlich …«
»Als ich ein Junge war, habe ich nie hier gelebt. Ich wurde schon früh als Page in Dienst geschickt.« Eine Pause trat ein, bevor er in weniger scharfem Ton fortfuhr: »Ich bin erst vor zwei Jahren hierher zurückgekehrt, als mein Vater starb und ich sein Erbe antrat.«
»Nie?« Sie war ehrlich überrascht.
Sie musste an seine Bestürzung denken, als er vom Verschwinden des Jungen erfuhr und die Suche anordnete. Er schien es so persönlich zu nehmen. Sie war davon ausgegangen, dass er sein ganzes Leben hier verbracht und das Wohl der Bewohner im Auge gehabt hatte. Sorgte er sich denn wirklich um sie, oder konnte er nur den Gedanken nicht ertragen, etwas zu verlieren, was ihm gehörte?
»Stimmt es, dass nicht zum ersten Mal ein Kind verschwunden ist?« rief Eloise, als sie sich ihm wieder näherte. Es trat eine merkliche Pause ein.
»Ja.«
»Wie viele denn?«
»Jetzt drei. Eins vor über einem Jahr. Wir haben alles abgesucht, dachten, Diebe oder Zigeuner … oder Wölfe hätten ihn geholt. Wir fanden keine Spur. Nicht einmal Knochen. Dann verschwand vor drei Monaten wieder ein Kind.«
»Was ist Eurer Meinung nach geschehen?«
»An dem verflixten Fluch liegt es nicht, falls Ihr das meint.«
»Ihr glaubt an keinen Fluch?«
»Was ich glaube, ist denen einerlei.« Er machte eine ausladende Handbewegung, um Whitmores Bewohner anzudeuten. »Die sind davon überzeugt, dass einfach alles, was auf Whitmore schief geht, Teil eines großes Übels ist, das sie
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