Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
obwohl es vor über einhundert Jahren erbaut wurde.«
Christopher war verwirrt. »Enthält das Tagebuch irgendetwas Wichtiges?«
»Aha!« Ned machte einen kräftigen Zug an der Pfeife und produzierte damit die erwünschte Glut. »Genau das ist der Punkt! Niemand weiß das, da Pepys das Tagebuch in einer Art Kodeschrift verfasst hat.«
»Kode? Soll das heißen, es wurde die ganze Zeit aufbewahrt, ohne dass jemand es lesen konnte?«
»Genau! Es hat einige Versuche gegeben, weil Pepys der Überlieferung zufolge mit etlichen recht einflussreichen Leuten auf gutem Fuß stand, bis hin zu Charles II. Natürlich ist das Interesse an dem Werk jetzt gestiegen, weil im letzten Jahr John Evelyns Tagebuch veröffentlicht und im ganzen Land ungeheuer populär wurde. In Kürze soll eine Neuausgabe erfolgen.«
»Ja, in der Tat. Ich habe es gelesen. Ein faszinierender Blick auf den Hof Charles II. Hm«, fügte Christopher nachdenklich hinzu. »Ich glaube zu sehen, worauf das hinausläuft.«
»Du warst immer ein sehr scharfsinniger Bursche, Chris.
Ja, die maßgeblichen Stellen, die jetzt am College das Sagen haben, legen den größten Wert darauf, durch die Veröffentlichung von Pepys’ Werk einen eigenen Coup zu landen.
Allerdings…«
»Kann niemand es lesen«, unterbrach Christopher grinsend.
»Genau!« wiederholte Ned. »Die Bemühungen wurden ums Zehnfache gesteigert, und jeder rotznasige Student des College hat sich an dem Tagebuch versucht, ohne jeden Erfolg.«
»Ich nehme an, Sir Henry ist der Kopf des Haufens von Möchtegern-Kodeknackern.«
»Ja. Man dachte, dass es ihm bei seinem literarischen Wissen ein Leichtes wäre, doch er hat kein einziges Wort übertragen, obwohl er dauernd behauptet, er sei auf der richtigen Spur. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis er am Ziel sei. Er ist jedoch, was dieses Thema angeht, so fanatisch geworden, dass seine Glaubwürdigkeit auf den Nullpunkt gesunken ist.«
»Bei einem Mann seines Alters und Hintergrundes sollte etwas Exzentrik doch gestattet sein.«
»Sie geht über bloße Schrullen hinaus. Er ist besessen. Er redet über nichts anderes mehr als das Tagebuch und hat dessen Bedeutung als historisches Dokument über alle Maßen aufgebläht. Er machte geheimnisvolle Andeutungen über Enthüllungen, die angeblich das gesamte Bild Englands zur Zeit der Restauration erschüttern. Er hat sogar durchblicken lassen, der wahre Autor des Tagebuchs sei der gute alte Charles persönlich.«
»Ich verstehe.« Nachdenklich rieb Christopher sich das Kinn. »Ich nehme an, er arbeitet noch immer an der Entschlüsselung?«
»Gott! Ja!« Ned hielt inne und zündete die Pfeife wieder an, die ihm unerklärlicherweise ausgegangen war. »Er ist beinahe täglich hier und treibt das Personal der Bibliothek zum Wahnsinn. Er verlangt alle möglichen Wörterbücher, dazu Texte über jeden Kode, der bei der Regierung und beim Militär bekannt ist.«
»Ich frage mich, warum er nicht zu Haus an seinem Manuskript arbeitet. Bestimmt hat er dort zahlreiche Nachschlagewerke.«
»Ah, es gibt noch einen anderen Reibungspunkt. Sir Henry hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, das Tagebuch mit nach Haus zu nehmen. Nachdem es Beschwerden von Leuten gab, die sich ebenfalls an der Entschlüsselung versuchen wollten, schaltete George Neville sich ein, der Rektor des College, der vor drei oder vier Jahren auf diesen Posten berufen wurde. Damals war er erst vierundzwanzig Jahre alt. Ich glaube, ich muss nicht betonen, dass er einige einflussreiche Verwandte hat. Thomas Grenville, sein Onkel, ein angesehener Bibliophiler, ist ebenfalls an dem Tagebuch interessiert. Wie ich hörte, sind er und Mr.
Folsome jetzt in einer Art Blutfehde. In jedem Fall hat der junge Mr. Neville Sir Henry verboten, das Tagebuch aus der Bibliothek zu entfernen. Dem alten Mann wurde sogar die Zeit vorgeschrieben, in der er sich in der Bibliothek mit dem Buch befassen kann. Zuerst war er fuchsteufelswild und ist noch immer ziemlich pikiert, aber er scheint sich etwas beruhigt zu haben.«
Versonnen blickte Christopher in das Kaminfeuer. »Von all dem hat er mir nichts erzählt. Auf mich wirkte er, obwohl ihm viel daran gelegen schien, eine Atmosphäre des Geheimnisvollen und ungeheuer Wichtigen zu erzeugen, nicht im Mindesten gekränkt oder entmutigt.«
»Glaub mir, Chris, es ist besser, ihn zu meiden. Aber genug davon. Du hast mir noch nicht erzählt, wieso du plötzlich beschlossen hast, einen Besitz aufzusuchen, der dir jetzt seit…
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