Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
Trumpington Road.«
»Ah, die Nebenverdienste hingebungsvoller Gelehrsamkeit.«
Auf Neds Einladung hin verlagerte Christopher einen Stoß Papiere von einem Schaukelstuhl auf den ohnehin schon mit Unterlagen beladenen daneben stehenden Schreibtisch. Er setzte sich und nahm das Glas Wein entgegen, das der Freund ihm hinhielt. Zuneigungsvoll lächelte er ihn an. Wenngleich so unterschiedlich in Aussehen und Wesen wie Käse und Kalk, waren die beiden Männer unzertrennliche Freunde gewesen. Als im Magdalene College wohnende Studenten waren sie bald zur Plage dieses Instituts geworden. Nach dem Studienabschluss hatten ihre Wege sich getrennt. Christopher war zur Armee gegangen und später in dem hoch angesehenen Kreise der feinsten Gesellschaft gelandet, wohingegen Ned eine akademische Karriere gemacht und sich wissenschaftlicher Forschung gewidmet hatte.
Sie sahen sich nur selten, schrieben sich indes oft. Das Letzte, was Christopher von Ned gehört hatte, war, dass der Freund sich irgendwelchen meteorologischen Studien widmete und die Strömungen der Wolken und Winde im ganzen Land auf Karten eintrug.
»Also, was hat dich hierher in die Wildnis geführt?«
fragte Ned und machte es sich in einem schlecht gefederten Armsessel bequem.
Christopher erklärte ihm, dass er jetzt im Besitz von Wildehaven war.
»Tatsächlich?« fragte Ned überrascht. »Sir Fredrick Deddington war dein Onkel? Das wusste ich nicht. Dann musst du inzwischen Sir Henry Folsomes Bekanntschaft gemacht haben.«
Christopher schlug ein Bein über das andere. »Ja, das habe ich, auch die seiner Schwester und seiner Nichte.
Kennst du die beiden Frauen?«
»Hm, ja«, antwortete Ned unverbindlich. »Ich kenne die beiden jedoch längst nicht so gut, wie ich mir das im Fall der Nichte wünschte.« Er drehte die Pfeife um und klopfte den Inhalt in eine nicht weit von ihm stehende Schale.
Belustigung erschien in Christophers Blick. »Ah, Miss Tate. Hast du dich in die hübsche Hockenbleiberin verknallt, Ned?«
Ned rutschte im Sessel herum. »Oh, nein. Verknallt ist zu viel gesagt. Du kennst mich doch. Bewunderung aus der Ferne liegt mir mehr. Außerdem möchte ich die Bekanntschaft mit Miss Tates Onkel nicht vertiefen.«
»Mit Sir Henry? Er hat recht umgänglich auf mich gewirkt.«
»Oh, ja. Er ist ganz und gar ehrbar. Aber total verdreht.«. »Was?«
Ned zuckte wieder mit den Schultern. »Nun, vielleicht war das etwas zu stark ausgedrückt, aber der alte Bursche ist eindeutig nicht ganz richtig im Dachstübchen.«
»Ich muss gestehen, dass er auf mich diesen Eindruck nicht gemacht hat.«
Einen Augenblick lang fischte Ned in der Tasche seiner verschlissenen Jacke herum, zog schließlich einen Tabaksbeutel heraus und stopfte die Pfeife neu. »War natürlich nicht immer so. Ich glaube, Sir Henry war schon hier im Magdalene College Student, bevor Gott noch den Regen erschaffen hat, und fast so lange auch eines der Aushängeschilder des Instituts. Er hatte den Lehrstuhl für Literatur in der Zeit der Restauration inne oder so.« Achtlos wedelte Ned mit der Hand. »Bei diesen Sachen bin ich nicht auf dem Laufenden. In jedem Fall ist er erst seit einigen Jahren ein bisschen meschugge. Seit er den Spleen mit Samuel Pepys bekam.«
»Pepys?« fragte Christopher, dessen Interesse jetzt ernsthaft geweckt war. »Wer ist das?«
Ned, der die Pfeife gestopft hatte, zog einen Strohhalm aus einem Behälter, stand auf und zündete ihn im Kaminfeuer an. Dann kehrte er zurück und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Er begann mit dem nächsten Ritual, nämlich dem, den richtigen Zug an der Pfeife zu bekommen. »Das kannst du wohl fragen«, murmelte er. »Samuel Pepys hat irgendwann Anfang 1600 am Magdalene College graduiert.
Er zog nach London, heiratete dort und erhielt eine Stellung bei der Marine. Ich glaube, er war Proviantoffizier. Außerdem hat er eine eindrucksvolle Sammlung von Büchern erworben, die allesamt in Leder gebunden sind. Zur Zeit beruht sein größter Anspruch auf Nachruhm jedoch auf der Tatsache, dass er einige Jahre lang Tagebuch geführt hat.«
»Oh?« Bis jetzt konnte Christopher keinen Grund dafür erkennen, warum Sir Henry Mr. Pepys so verehrte.
»Ja, ,oh!’. Fast einhundert Jahre nach seinem Tod, 1725
oder so, vermachte sein Neffe das Tagebuch mit dem Rest von Mr. Pepys’ Bibliothek dem Magdalene College, wo es in dem Gebäude untergebracht ist, das sich direkt an dieses Karree anschließt. Man nennt es das Neue Gebäude,
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