Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
Sie heute herkämen, um die Bände abzuholen. Er freut sich schon darauf, sich mit den nächsten beiden beschäftigen zu können. Aber kommen Sie doch bitte herein«, setzte sie hinzu.
Sie führte den Earl und die Nichte gleich in den Salon und entschuldigte sich, um den Bruder vom Eintreffen Seiner Lordschaft zu benachrichtigen. Es dauerte nur einen Moment, bis sie zurückkehrte, diesmal mit Sir Henry im Schlepptau, der in jeder Hand einen der in Leder gebundenen Bände hielt.
»Guten Morgen, mein Junge!« rief der alte Herr aus.
»Gerade rechtzeitig zum Mittagessen! Ich habe daran gedacht, uns etwas in das Arbeitszimmer bringen zu lassen, weil ich mit Ihnen über einen Gedanken reden möchte, der mir heute Morgen in den Sinn kam, als ich die Eintragungen vom sechzehnten Februar las.«
»Eigentlich muss ich fort«, erwiderte Christopher höflich und nahm die Bände aus den Händen des älteren Mannes entgegen. »Es gibt einiges, was ich erledigen muss, wenn ich in der Stadt bin. Ich habe überlegt, ob Miss Tate mich auf der Fahrt begleiten möchte.« Er wies auf die Karriole, die auf dem Stallplatz stand. »Ich könnte weiblichen Rat zu einem Geschenk brauchen, das ich für den Geburtstag meiner Cousine Susan aussuchen muss. Ich dachte, Miss Tate und ich könnten dann auch in der Stadt essen. Wenn ich mich nicht irre, fuhrt der ,Pelikan’ eine ausgezeichnete Küche.«
»Nein!« rief Gillian unwillkürlich aus. Ihre Tante drehte sich zu ihr um und schaute sie überrascht an.
»Aber Gillian, meine Beste! Das verspricht doch ein entzückender Ausflug zu werden!« Tante Louisa begleitete ihre Worte mit einem viel sagenden Blick, und plötzlich dämmerte Gillian, dass Tante Louisa in Christopher einen möglichen Bewerber um ihre Hand sah. Du lieber Himmel! Wie konnte die Ärmste sich solchen Unsinn in den Kopf gesetzt haben?
Gillian sah Seine Lordschaft an und bemerkte, dass ihm der Blick der Tante nicht entgangen war. Ein verschmitzter Ausdruck stand in seinen grünen Augen, und sie spürte, dass ihr die Hitze in die Wangen stieg.
»Es wird nicht möglich sein«, sagte sie kurz angebunden.
»Ich habe heute Nachmittag einiges zu tun. Ich kann unmöglich alles liegen lassen, um…«
»Unsinn!« unterbrach ihre Tante sie barsch. »Wir haben heute nichts von Bedeutung auf der Tagesordnung stehen.
Der alten Mrs. Frederick kann ich ebenso gut wie du den neuesten Klatsch erzählen. Und was die Kinder der Fotheringays betrifft, so werde ich ihnen einfach sagen, sie sollen ein andermal herkommen, um den Ausflug in den Wald zu machen.«
»Na also!« sagte Christopher, und nun blitzten seine Augen wie das Wasser einer im Sonnenlicht emporschie
ßenden Fontäne. »Alle Ihre Aufgaben werden übernommen, so dass Sie frei sind, um das großstädtische Cambridge zu erkunden.«
»Ja«, sagte Tante Louisa, obwohl Gillian den Mund öffnete, um Einwände dagegen zu erheben, dass man derart autoritär über ihren Tag verfügte. »Lauf nach unten, und zieh dich um.«
»In der Zwischenzeit kommen Sie mit mir«, mischte sich nun Sir Henry ein, »damit ich Ihnen zeigen kann, was ich im Sinn habe.«
»Ich werde Gillian helfen«, versetzte Tante Louisa. »Sie wird in wenigen Augenblicken wieder hier sein.«
Gillian fühlte sich auf eine lächerliche Weise hilflos, ließ es jedoch zu, dass die Tante sie fortdrängte.
Kurze Zeit später half der Earl ihr in die Karriole. Die Anwesenheit eines sehr jungen Lakaien, der auf dem Dienersitz an der Rückseite der Kutsche hockte, verhinderte jedes Gespräch, und dafür war Gillian dankbar. Sie plauderte über Belanglosigkeiten, bis die Kutsche durch das Tor von Wildehaven gefahren war. Danach lenkte Christopher die Karriole an den Straßenrand und hielt das Gespann an.
Er wandte sich Miss Tate zu und sagte leise: »Ich muss mit Ihnen reden.«
Abwehrend hob sie die Hand, doch er war bereits aus dem Wagen gestiegen und erteilte dem Lakai die Anweisung, die Pferde zu bewegen.
»Ich finde nicht…«, protestierte Gillian, als er zu ihr kam, um ihr aus der Kutsche zu helfen. Er lächelte jedoch unbeeindruckt, legte sich ihre Hand in seine Armbeuge und führte sie zu einer Baumgruppe.
»Ich habe nicht vor, Ihnen lange in den Ohren zu liegen, aber es ist mir ein Bedürfnis, mich bei Ihnen zu entschuldigen.«
Gillian starrte den Earl nur an.
»Mein Benehmen von gestern Nacht ist unverzeihlich«, fuhr er in einem Ton fort, der großes Unbehagen erkennen ließ, was bei jemand so
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