Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
abscheulich und den Prinzregenten unsympathisch fanden. Und sie beklagten die Eskapaden Lord Byrons, die er sich mehrere Jahre zuvor mit seiner Geliebten, der alles andere als damenhaften Lady Caroline Lamb, geleistet hatte.
Der Earl erzählte Gillian von seiner Kindheit. Sie erfuhr, dass seine Beziehung zu seinen Eltern freundlich, aber auch nicht mehr gewesen war. Er berichtete ihr von seinen Streichen in Eton und Cambridge, die er mit längst vergessenen Freunden oder Menschen, die noch Teil seines Lebens waren, begangen hatte. Sie erzählte ihm Geschichten über das Leben in Netheringham, dem kleinen Dorf, in dem sie aufgewachsen war.
Vom Heiligen Kenneth sprach sie wenig, wie Christopher auffiel. Seine vorsichtigen Fragen führten nur zu weiteren Lobpreisungen von dessen lauterem Charakter.
»Sie müssen ihn sehr geliebt haben«, bemerkte er schließlich und berührte Miss Tates Hand.
Sie sah ihn einen Moment lang mit rätselhaftem Ausdruck an. »Ja«, antwortete sie schlicht. »Und er hat mich geliebt, mit einer selbstlosen Hingabe, die ich seither nie mehr erfahren habe.« Gillian zwinkerte, atmete tief durch und sagte dann: »Sie haben mir viel von Ihren frühen Jahren berichtet, Christopher. An dem Tag, an dem wir uns kennen lernten, sagten Sie etwas über Ihre Armeekarriere.
Ich glaube, seither hörte ich Sie nicht mehr darüber reden.
Wie lange haben Sie gedient?«
Christopher hatte sich versteift. »Ich würde es kaum eine Karriere nennen«, erwiderte er leichthin. »Ich habe mir das Patent gekauft, nachdem ich Oxford verlassen hatte. Das war 1805. Ich glaubte, es würde ein wunderbares Abenteuer werden, dem alten Boney eins überzubraten. Ich musste das Gegenteil feststellen. Mehr noch, meine Liebe, ich muss Ihnen sagen, dass ich die ganze Angelegenheit höchst langweilig gefunden habe.«
»Aber Sie müssen doch an einigen Gefechten teilgenommen haben, die kaum… hm… langweilig gewesen sein können.«
»Nein. Im Gegenteil, sie waren unsäglich. Im wahrsten Sinne des Wortes! Ich habe wahrhaftig nicht die- Absicht, über diese Sache noch mehr zu reden. Sie ist ein Teil meines Lebens, den ich am liebsten ganz vergessen möchte.«
Christopher hatte einen der zwischen ihm und Miss Tate auf dem groben Holztisch liegenden Bände an sich genommen. »Ich frage mich, ob diese Bücher Ihrem Onkel neue Einsichten in die Geheimnisse des verschlüsselten Tagebuches ermöglichen werden.« Er lachte unsicher. »Du meine Güte! Das klingt wie der Titel eines sehr schlechten Theaterstücks.«
Gemächlich hatte er den Band aufgeschlagen.
»Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen den hier stehenden Symbolen und denen in den ersten beiden Bänden.« Plötzlich furchte er die Stirn. Eine vage Erinnerung war ihm gekommen.
»Was ist?« fragte Gillian. »Haben Sie…«
»Ich… ich weiß es nicht.« Er starrte die seltsamen Kringel an. »Ich… Ich weiß nicht… das heißt… da ist etwas.«
Er seufzte. »Nein, es ist mir entfallen.« Er hob den Kopf und sah Miss Tate lachend in die Augen. Zu ihrem größten Unbehagen bekam sie daraufhin weiche Knie. »Es ist nur, dass ich mir sicher bin, so etwas schon einmal gesehen zu haben, je öfter ich diese Zeichen betrachte. Ich kann mich jedoch beim besten Willen nicht erinnern, wo.«
Die Unterhaltung auf dem Heimweg war oberflächlich und wurde mehrmals durch lange Phasen der Geistesabwesenheit seitens des Earl unterbrochen. Die Sonne schien warm, und der Wind trug den Geruch der ersten Blumen herüber, die mit dem einsetzenden Frühling erblüht waren.
Gillian wusste, dass sie sich ihr Leben lang an diesen wunderbaren Nachmittag erinnern würde.
Die zauberhaften, mit langen Ausfahrten und Plaudereien ausgefüllten Tage dauerten an. Wenn es regnete, was häufiger der Fall war, trotzte Christopher den Elementen und verbrachte Stunden im Wohnzimmer des Cottages vor dem lodernden Kaminfeuer. Wenngleich Gillian viel Vergnügen an seiner Gesellschaft hatte, merkte sie mit der Zeit, dass sich eine leichte… Irritation bei ihr einstellte.
Sosehr sie es genoss, mit dem Earl zusammen zu sein, sosehr sie sich durch das Interesse, das er an ihr nahm, natürlich nur ein freundschaftliches Interesse, geschmeichelt fühlte, fragte sie sich doch, warum er keine Anstalten machte, nach London zurückzukehren. Schließlich hatte er dort Verpflichtungen. Seine Corisande war vielleicht nicht die Frau seiner Wahl, aber er war ihr doch eine Erklärung dafür schuldig, weshalb er
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