Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
tun?«
»Wer, glauben Sie, war es, der mich zu dieser langweiligen Selbstprüfung gebracht hat? Ich habe Ihre Gesellschaft genossen, seit ich Sie kennen lernte. Ich betrachte Sie als Freundin, als wirkliche Freundin, nicht als die bei mir übliche hübsche Schönwetterbegleiterin. Sie wiederum waren mehr als freundlich. Aber glauben Sie, dass mir nicht die subtile Verachtung aufgefallen ist, die Sie für jemanden
,meiner Art’, wie Sie es ausdrückten, empfinden? Sie haben sich entschlossen, sich am Ende der Welt zu verstecken, was in meinen Augen die größte Dummheit ist…« Rasch hob Christopher die Hand, um den Einwand zu ersticken, den Miss Tate vorbringen wollte. »Aber Sie haben etwas aus Ihrem Entschluss gemacht. Sie haben sich zwei Menschen, die Sie lieben und von denen Sie geliebt werden, unentbehrlich gemacht. Sie sind fast jede Minute des Tages mit irgendeiner nützlichen Sache beschäftigt, sei es nun die Organisation eines Kirchenfestes oder das Beschaffen von Lehrmaterial für die Dorfschule. Sie haben mich ob meines Mangels an Entschlusskraft und meiner sinnlosen Hingabe an ein frivoles Leben beschämt. Ich war gezwungen, mit mir ins Gericht zu gehen oder zumindest damit anzufangen. Heute habe ich den Tritt in den Hintern bekommen, den ich brauchte und auf den ich es, wie ich denke, beinahe angelegt habe.«
Gillian wagte kaum zu atmen. War der Earl ehrlich zu sich und ihr? Wollte er zum Ausdruck bringen, dass er vorhatte, von diesem Moment an sein Leben zu ändern?
Konnte ein Mensch eine derart umwälzende Entscheidung an einem kurzen Tag treffen? Diese Fragen gingen Gillian durch den Sinn, und von Moment zu Moment kamen andere hinzu. Lord Cordray hatte geäußert, das Bedürfnis, sich zu ändern, sei schon seit einiger Zeit in ihm gewachsen. Hatte Gillian tatsächlich seinen endgültigen Beschluss beeinflusst? Konnte er, selbst wenn er es ernst meinte, auf dem sich vorgezeichneten Weg der Besserung bleiben?
»Aber die Erinnerungen…«
»Oh, hin und wieder denke ich noch an die alten Zeiten, aber sie verblassen mehr und mehr. Ich habe jetzt festgestellt, dass ich an diese Scheußlichkeiten denken kann, ohne dass mir übel wird. Hauptsächlich empfinde ich Traurigkeit darüber, dass so viele junge Leben sinnlos vergeudet wurden.«
»Ich… Christopher, ich… bin so glücklich für Sie«, brachte Gillian mühsam heraus.
Er legte ihr die Hand unter das Kinn. Er lachte leise, doch aus seinem Lachen klang echte Fröhlichkeit, die sie bisher nie zu hören gemeint hatte.
»So, meine Liebe. Nicht noch mehr Tränen. An jemanden ,meiner Art’ sind sie bestimmt verschwendet. Ich habe schließlich nicht vor, Mönch zu werden. Ich kann mir vorstellen, dass ich hin und wieder noch an einer Orgie teilnehme, aber ich kann Ihnen auch versprechen, dass ich mich auf eine produktivere Zukunft freue, und dafür muss ich Ihnen danken.«
Christopher stand auf. »Es ist spät geworden«, fuhr er abrupt fort. »Ihre Tante und Ihr Onkel müssen denken, ich hätte Sie entführt.«
»Ja, wirklich, es ist spät!« rief Gillian überrascht aus und schaute auf die dunklen Fenster. -Sie erhob sich ebenfalls.
Plötzlich fühlte sie sich verlegen, und als sie einige Augenblicke später mit dem Earl vor dem im Mondlicht liegenden Haus stand und darauf wartete, dass die Pferde gebracht wurden, suchte sie Zuflucht in nichts sagendem Geplauder.
»Ja«, stimmte Christopher ihr etwas verdutzt zu. »Ich glaube, bis nächste Woche wird das Wetter anhalten.«
Schweigend legte man die kurze Strecke nach Rose Cottage zurück, und als man dort angekommen und abgesessen war, wollte Gillian rasch ins Haus gehen. Sacht legte er ihr jedoch die Hand auf den Arm, und unversehens wurde sie sich seiner Nähe bewusst.
Ach du meine Güte! dachte sie, und das Herz schlug ihr schneller. Jetzt bist du schon wieder mit Christopher allein, im Dunklen, im Mondlicht. Und du elender Dummkopf stehst hier und wartest, hoffst darauf, dass er dich wieder in die Arme nimmt und…
Und genau das tat Christopher. Mit einem Laut, der wie ein Aufstöhnen klang, zog er sie an sich. Einige Augenblicke lang hielt er sie einfach nur an sich gedrückt. Dann küsste er sie, nicht mit der Eindringlichkeit wie beim ersten Mal, sondern mit einer sehnsuchtsvollen Zärtlichkeit, die Gillian eigenartigerweise den Tränen nahe brachte.
Er löste sich von ihr und drückte ihr warme, weiche Küsse auf das Kinn und die Kehle. Kleine brennende Stellen blieben
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