Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
Shelton hervor. »Wo kommt das her?«
Gillian schlug das Herz schneller. »Oh, ich muss dieses Buch versehentlich zu den anderen Bänden gelegt haben«, antwortete Christopher leichthin. »Aber nehmen Sie es auch mit. Vielleicht ist es eins, das Sie noch nicht gelesen haben.«
»Nein, vielen Dank, aber ich werde genug mit den anderen Büchern beschäftigt sein. Ich möchte sie Ihnen nicht länger als nötig vorenthalten.« Ohne das Buch von Shelton noch eines Blickes zu würdigen, legte Sir Henry es auf einen in der Nähe stehenden Tisch, von dem es sogleich herunterfiel.
Gillian hob es auf und öffnete es, bevor sie es dem Onkel zurückgab.
Desinteressiert blickte er auf die beiden Seiten, reichte es dann an Lord Cordray weiter und wandte sich seiner Schwester zu. »Nun kommt, Louisa, Gillian. Wir dürfen Seine Lordschaft nicht länger daran hindern, ins Bett zu gehen.«
Es war offenkundig, dass sein Drang, sich zu verabschieden, eher auf dem Eifer beruhte, den geborgten Schatz zu begutachten, als auf dem Wunsch, den Gastgeber von der Anwesenheit der letzten Gäste zu befreien.
Weitere bedeutungsvolle Blicke wurden zwischen Christopher und Miss Tate gewechselt. Er gab ihr mit hochgezogenen Augenbrauen, Blicken zur Zimmerdecke und Achselzucken zu verstehen, dass er es für unklug hielt, ihren Onkel noch weiter mit der Nase auf das Buch von Shelton stoßen zu wollen. Sie nickte, um ihr Einverständnis zu bekunden, ließ sich von einem Bediensteten die Überzieher geben und half der Tante und dem Onkel in die Mäntel.
Im Freien zog Christopher sie beiseite, derweil Sir Henry und seine Schwester in das Gig stiegen.
»Nun, unser Plan war wohl ein Fehlschlag«, murmelte er enttäuscht.
»Allerdings«, erwiderte Gillian betrübt. »Was sollen wir jetzt machen?«
»Ich werde morgen einen weiteren Versuch unternehmen, das Buch auf unauffällige Weise in Sir Henrys Hände gelangen zu lassen.« Christopher seufzte. »Falls das nicht klappt, werden wir genötigt sein, es ihm einfach vor die Nase zu halten und ihm zu sagen, es sei das Mittel für die Übertragung von Pepys’ Tagebuch.«
Auch Gillian seufzte. »Mir kommt es bedauerlich vor, ihn des Triumphs zu berauben. Er hat so hart gearbeitet.«
Flüchtig berührte Christopher ihre Hand. Er wusste, seine Reaktion auf den bekümmerten Ausdruck in ihren Augen hatte fast ausschließlich mit ihr und weniger mit Sir Henry zu tun, aber er empfand das dringende Bedürfnis, ihr den Kummer zu nehmen und dieses und jedes andere Problem zu lösen, das sie vielleicht bis zum Ende ihres Lebens haben mochte.
»Ich werde einen Weg finden, Gillian«, flüsterte er.
»Noch weiß ich nicht, wie ich es anstellen werde, aber irgendwie wird es mir gelingen.«
Zu seiner Überraschung bedeckte sie seine Hand mit ihrer. Im schwachen Fackellicht wirkten ihre Augen groß und feucht. Er meinte, Tränen in ihnen schimmern zu sehen und einen Hauch von unverhohlener Wärme. »Ich weiß, dass Sie es schaffen werden, Christopher«, murmelte sie spröde. »Sie verstehen das sehr gut.«
Nach Sir Henrys kategorischer Aufforderung, Gillian möge »um Gottes willen voranmachen«, half er ihr in das Gig und winkte den Insassen zum Abschied zu. Sobald die Kutsche verschwunden war, kehrte er verwirrt ins Haus zurück.
Was hat Gillians Kehrtwendung verursacht? fragte er sich. Sie war steif wie eine Kirchturmspitze gewesen, als er nur ihre Wange gestreift hatte. Eben jedoch hatte sie sogar seine zuneigungsvolle Geste erwidert. Mehrere Erklärungen gingen ihm durch den Sinn, während er in die erste Etage ging. Die ihm liebste Begründung war, dass Gillian sich bei dieser Gelegenheit von ihrem Herzen hatte leiten lassen statt von widersinnigen logischen Erwägungen, die ihr vielleicht durch den Kopf gegangen waren.
Derweil er sich für die Nacht herrichtete, wanderten seine Gedanken zu Sir Henry und dem vergeblichen Versuch, ihm das Buch von Shelton aufzunötigen. Er kratzte sich am Kopf. Wie, zum Teufel, sollte er den alten Knaben dazu bringen, das Büchlein zu bemerken, wenn dieser nur die Dichter aus der Zeit der Restauration im Sinn hatte?
Müde ging er zu Bett und schlief bald tief und fest.
Plötzlich wachte er durch Lärm auf, und es dauerte ein Weilchen, bis er merkte, dass jemand laut an die Haustür trommelte. Hastig zog er sich einen Morgenmantel an, eilte die Treppe hinunter und sah Moresby, eine Nachtmütze und einen großen Schal über dem Nachthemd tragend, vom Dienstbotenflügel her
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